François Fillon

Herr Premier-Minister,

Vor einem Jahr versuchte die Regierung das Vertrauen des Parlaments zu gewinnen, um das Engagement unserer Streitkräfte im Irak zu unterstützen. Mit Verantwortung und Pflichtbewusstsein beschloss die Gruppe der Republikaner diese Intervention zu unterstützen.

Sollte man jetzt diese Wahl bereuen?

Nein. Gegen Daesh, seine schwarze Flagge und seine Halsabschneider, der Kampf ist keine Wahl, sondern eine Verpflichtung für unsere Sicherheit und unsere Werte. Gegenüber dem Fanatismus gibt es ist keine Neutralität und Immobilismus!

Doch wir müssen hellsichtig über die Wirksamkeit der Maßnahmen der Koalition sein. Nach 4 000 Luftangriffen, einschließlich der 200 französischen Angriffe, ist Daesh immer noch da - und stärker als vor einem Jahr.

Seine Präsenz am Boden ist nicht geschrumpft: Wenn Daesh auch im Irak eingehalten werden konnte, ist das nicht der Fall in Syrien. Stadt nach Stadt, Militärbasis nach Militärbasis, die Eroberungen gehen weiter, die Zerstörung und Massaker ebenfalls. Die Reihen der Terroristen werden weiterhin durch ausländischen Nachschub grösser und nähern sich 50.000 Mann.

Offensichtlich hat das Vorgehen von Frankreich und seinen Verbündeten die Situation nicht geändert. Es ist Zeit, aus der Leugnung der Realitäten herauszukommen. Seit mehr als einem Jahr alarmieren die Republikaner [vorher UMP; AdÜ] die Regierung über die Grenzen ihrer diplomatischen und militärischen Strategie.

Politisch gesehen, was haben Sie mit unserer diplomatischen Tradition getan?

Wo ist sie? In dem Gerangel mit Putin, das Europa an den Rand eines neuen Kalten Krieges bringt? In dem "alles außer Baschar", als unübertrefflicher Horizont unserer syrischen Politik? Baschar Al-Assad ist ein blutrünstiger Diktator, aber das „alles außer Baschar“ genügt nicht für eine diplomatische Linie. Durch die Vermehrung der Bedingungen hinsichtlich des Abtritts von Assad hat man mit unseren Partnern einen Punkt erreicht, der eine ernsthafte Diskussion über den politischen Übergang blockiert.

Frankreich, sagen Sie, unterstützt einen von der "syrischen Nationalen Koalition" angeführten Übergang, die die gemäßigte Opposition verkörpern sollte. Aber diese Opposition ist jetzt im Exil, ist virtuell und von Syrien abgeschnitten, und völlig überfordert durch die islamistischen Eroberungen vor Ort.

Man muss die virtuelle Diplomatie lassen und zu den geopolitischen Realitäten zurückkehren: dort sind Russen, Amerikaner, Saudis, Iraner. Mit ihnen und all jenen, die einen Einfluss auf die Kräfte vor Ort haben muss man diskutieren und eine echte internationale Koalition aufbauen.

Militärisch gesehen, tun wir alles, um diesen Krieg zu gewinnen?

Vor einem Jahr erfuhren wir, dass wir nur im Irak eingreifen würden. Die Regierung fügte hinzu, dass dies in Syrien nicht möglich wäre, wo man vermeiden musste, zwischen dem Regime vor Ort und Daesh zu wählen. Die Amerikaner und andere NATO-Staaten haben nicht so viele Feinheiten angewendet, um eine terroristische Gruppe, deren Gefährlichkeit beim UN-Sicherheitsrat, in seiner Entschließung 2170, anerkannt wurde, – überall- zu bekämpfen.

Nun aber haben wir erfahren, dass das, was im vergangenen Jahr nicht möglich war, in diesem Jahr wohl möglich ist. Ich begrüße diesen Anschluss an die Haltung, die ich in der Nationalversammlung, am 24. September 2014 ausgedrückt hatte. Präsident Hollande hinkt hinter der Geschichte her. In Kriegszeiten ist verlorene Zeit ein schwerwiegender Fehler.

Jetzt ist Daesh vor den Toren von Damaskus

Unterschätzen wir nicht die Risiken von einem Sturz der syrischen Hauptstadt. Er würde Daesh vorantreiben und ein beispielloses Prestige in den Augen der Extremisten auf der ganzen Welt bedeuten und es würde neuen Zulauf bekommen, in der Sahel-Zone, auf der Arabischen Halbinsel, auf dem Weg nach Libyen. Damaskus ist die Hauptstadt der Umayyaden. Sein Sturz hieße die Feuersbrunst für die gesamte Region.

Die Zeit ist gekommen, unsere Strategie zu überdenken

Zuerst auf der militärischen Ebene

Ist es nicht eine surreale Debatte, zu der die Nationale Vertretung heute eingeladen wird? Der Feind steht gerade vor uns, er hat uns bereits geschlagen, und kündet noch weitere Schläge an. Und was tun wir? Wir diskutieren über « Aufklärungsflüge ».

Konfrontiert mit der Gefahr, François Hollande darf nicht mehr der Präsident der halben Maßnahmen oder anderer "Aufklärungsflüge“ bleiben. Wir müssen handeln. D.h., die neuralgischen Zentren von Daesh, seine Infrastruktur, seinen Generalstab und seine militärischen Mittel bombardieren.

Wir müssen auch den Mut haben, den Schritt danach und die Aktionen vor Ort vorauszudenken. Lassen Sie uns nicht die Fehler im Irak oder Afghanistan wiederholen, indem man die Hypothese einer okzidentalen Operation erwähnt, die eine Reaktion der Ablehnung verursachen würde, auf die unsere Feinde setzen. Aber reagieren wir auf den Anruf von denen, die auf dem Boden ihre Wirksamkeit gegen Daesh bewiesen haben, beginnend mit den kurdischen Peschmergas. Mehr muss getan werden, um sie ausrüsten, zu trainieren und mit Nachrichtendienst zu stärken.

Wir sollten über diese Aktionen vor Ort mit den Staaten der Region sprechen, die am unmittelbarsten bedroht sind. Sie sind es, die in erster Linie das Übel beseitigen sollen, das die Region heimsucht. Wir unterhalten mit Saudi-Arabien, den Golfstaaten oder Jordanien vorzügliche Beziehungen: Das ermöglicht, offen darüber zu diskutieren.

Es ist auch Zeit, unsere diplomatische Strategie zu überdenken

In Syrien läuft ein geopolitisches „großes Spiel“, das sich vor unseren Augen entfaltet. Die Mächte prallen dort aufeinander, Schiiten und Sunniten zerreißen sich dort. Aber dieses Spiel ist undurchsichtig. Jeder spielt seine Karten hinterhältig aus, obwohl die Region schon brennt.

Weiß man, wer wen im Nebel der gegenwärtigen islamistischen Brigaden vor Ort unterstützt? Und was ist mit der Türkei, die ganz in ihren Kampf gegen die PKK-Terroristen engagiert ist, sodass sie das Unerträgliche toleriert, einschließlich der objektiven Komplizenschaft mit Daesh? Es ist über die Türkei, woher der größte Strom der Europäischen Kämpfer nach Syrien kommt, um nur das zu sagen. Es ist daher wichtig, dass die Karten auf den Tisch kommen, mit der nächsten türkischen Regierung, die aus den Wahlurnen in einem Monat kommen wird.

Um zu siegen, muss die gesamte internationale Gemeinschaft und alle Staaten der Region gemeinsame Sache machen.

Ich wiederhole, seit mehr als einem Jahr: der einzige Weg ist, alle diejenigen in der gleichen Aktion zu vereinen, die Einfluss auf die Parteien haben, sie in einer Koalition zur Beilegung der Krise zu mobilisieren.

Die Vereinbarung in der im Juli abgeschlossenen Nuklearfrage erlaubt heute die Wiedereingliederung des Iran in die Diskussionen.

Durch die Stärkung der militärischen Präsenz der Russen an der syrischen Küste, - die Frankreich dummerweise in den letzten Jahren ignoriert hat – zeigen die Russen, dass sie nicht beabsichtigen, beiseite zu bleiben. Sie haben ihre Kontakte mit den Saudis im Sommer reaktiviert und mehrmals die Vertreter der Opposition nach Moskau eingeladen.

Was die Amerikaner angeht, diskutieren sie direkt mit dem Kreml: diskrete Sitzungen fanden Ende Juli zwischen den Außenministern statt, um die Fäden des Dialogs wieder zu knüpfen.

In der Tat scheint Frankreich abseits zu sein. Ergreifen wir wieder die Initiative.

In wenigen Tagen wird Präsident Hollande anlässlich der Generalversammlung der Vereinten Nationen nach New York reisen. Wie die meisten Staatsoberhäupter wird Barack Obama dort sein, auch Wladimir Putin - zum ersten Mal seit vielen Jahren.

Hoffentlich werden in New York alle Anstrengungen unternommen, um den 2012 in Genf eröffneten Verhandlungsprozess wieder aufzunehmen und der zwischen den Großmächten erlaubt hatte, die Parameter eines politischen Wandels in Syrien zu definieren. Es ist diese Verhandlung, die man wieder aktivieren muss, mit den Amerikanern, mit den Russen, mit den Golf Staaten, mit Jordanien, und indem man den Iran einbezieht. Es gibt keinen anderen Weg.

Ein neuer Fortschritt von Daesh - oder sogar der Fall von Damaskus - ohne jeglichen politischen oder diplomatischen Rahmen, führt zu weiteren Katastrophen. Nichts wird dann ausgeschlossen werden können, die Destabilisierung des Libanon, Jordaniens, der Golfstaaten. Nicht zu vergessen die Flüchtlings-Ströme, die massenhaft vor unseren Türen stehen. Die Dringlichkeit ist ihrem Exil durch Eindämmung des Konflikts ein Ende zu setzten.

An den Türen von Notre Dame hängen eiserne Ringe, die früher als die Ringe des Asyls bekannt waren... Die Ehre Frankreichs gebietet seine Gastfreundschaft.

Aber neben unserer Großzügigkeit, haben wir doch die Intelligenz, unter diesen Migranten die Akteure zu sehen, die eines Tages wieder ihr Land in die Hand nehmen. Geben wir diesen Flüchtlingen eine Rolle und eine Hoffnung.

Fordern wir sie auf, an unserem Kampf gegen Radikalismus und Indoktrination teilzunehmen, die einen Teil der Europäischen Jugend verderben. Da wir diese verfolgten Männer und Frauen schützen, ist es fair sie zu bitten, für unsere demokratischen Werte Partei zu ergreifen.

Bereiten wir die Elite auf den Wiederaufbau vor, durch Auslese und Training der Flüchtlinge, die administrative, ökonomische, pädagogische, wissenschaftliche und medizinische Fähigkeiten haben... Eines Tages werden es ihre Hände sein, die Syrien und den Irak wieder aufbauen.

Mitgefühl ist eine Vorgehensweise, aber keine Politik! Helfen wir den Flüchtlingen bei der Vorbereitung der Zukunft ihres Landes, da ja ihr Überleben hier ist, aber ihr Schicksal dort ist, in ihrem Land das sie schätzen. Mehr als ein umfangreicher Gastfreundschaft Plan, ist es auch ein Rehabilitation Programm einer zerstörten Region, das wir, Frankreich und auf europäischer Ebene mit den Flüchtlingen antizipieren und aufbauen sollten.

Das Schwerste ist nicht immer Krieg zu machen und ihn zu gewinnen, sondern Frieden und Erfolg vorzubereiten! Und dieser Erfolg hängt nicht ausschließlich von unserem militärischen Sieg ab, auch nicht nur von wünschenswerten politischen Entwicklungen der Regime, er hängt auch von der Bevölkerung ab, die mit unserer Unterstützung für den Wiederaufbau ihres Landes bereit sein wird.

Herr Ministerpräsident,

Morgen wird François Hollande durch Ihre Stimme die Unterstützung des Parlaments einholen, um zu versuchen das Aktionsfeld unserer Streitkräfte auf Syrien zu erweitern. Vor einem Jahr hatte ich gewarnt, dass diese Entscheidung unausweichlich war. Nun entdeckt er sie. Die Verspätung ist schändlich!

Seit vielen Monaten alarmiere ich über die Notwendigkeiten einer Assoziation mit der Russischen Föderation und dem Iran. Der Präsident der Republik stimmt ihnen heute nach vielen Verzögerungen und Beurteilungs-Fehlern zu. Er ist für die Verspätung bei den geopolitischen Realitäten schuldig!

Alle diese Verzögerungen und Wandlungen des Staatsoberhauptes, Leiter unserer Heere, sind Besorgnis erregend. Sie zeigen einen Mangel an Sicht und Vordenken, der unsere Strategie und unseren diplomatischen Einfluss untergräbt.

Unsere Soldaten können auf die Unterstützung der Republikaner zählen, um Daesh dort zu schlagen, wo es sich befindet. Aber François Hollande soll wissen, dass die Stimmen der Opposition nicht vorbehaltlos sind. Mehr als das Vertrauen in seine Person, ist es das nationale Interesse, das uns unsere Pflicht vorschreibt.

Übersetzung
Horst Frohlich