Lieber Olaf,
sehr geehrte Frau Prof. Narlikar,
sehr geehrte Damen und Herren,

Ich komme gerade aus der schönen Speicherstadt, die von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Dazu möchte ich Dir, lieber Olaf, und allen Hamburgerinnen und Hamburger unter Ihnen, noch einmal ganz herzlich gratulieren! Der Titel meiner Rede –Brüche und Brücken- hat allerdings nichts mit der Speicherstadt zu tun…Die Speicherstadt ist in Ziegel gegossene Erinnerung, warum den Deutschen Hamburg das Tor zur Welt ist. Die Geschichte der Hanse, der Hamburger Hafen und der berühmte Hamburger Bürgersinn sind weit über die Grenzen der Stadt bekannt.

Zu Unrecht weniger bekannt ist, dass sich hier in Hamburg wissenschaftlicher Sachverstand zu zentralen außen- und sicherheitspolitischen Themen konzentriert, wie wohl kaum anderswo in Deutschland. Damit meine ich das Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien, das GIGA, das vor zwei Jahren sein 50-jähriges Bestehen gefeiert hat. Und ich denke auch an das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, das Institut für Theologie und Frieden, das Zentrum für Naturwissenschaft und Forschung, das Max-Planck-Institut, die Körber-Stiftung, die Helmut-Schmidt Universität und die Führungsakademie der Bundeswehr – you get the idea: Der internationale Sachverstand in Hamburg ist groß. Alle diese Institutionen tragen dazu bei, durch Forschung, Lehre und Beratung Tore zu einer Welt zu öffnen, die zunehmend komplex und unvorhersehbar scheint.

„Die Welt um uns herum verändert sich, schneller als jemals zuvor. Wer sie verstehen will, darf sich nicht ausruhen auf den Gewissheiten von gestern“. Weise Worte – sie stammen nicht von mir, auch nicht von Helmut Schmidt, sondern vom GIGA, damals zum Jubiläum geschrieben. Ihre Einladung, Frau Prof. Narlikar, hier und heute über die deutsche Außenpolitik in bewegten und ungewissen Zeiten zu sprechen, habe ich sehr gerne angenommen. Und Danke, Olaf, dass Du uns diesen schönen Festsaal dafür zur Verfügung stellst.

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Wir leben in bewegten Zeiten. Nach dem Ende des Kalten Krieges dachten wir, dass Frieden, Freiheit und Demokratie nun ihren weltweiten Siegeszug antreten würden. Manche schrieben Bücher über das "Ende der Geschichte". Heute stellen wir fest: Ganz so war es dann doch nicht... Im Gegenteil: Die Krisen und Konflikte überschlagen sich geradezu, und die liberale Demokratie scheint vielerorts auf dem Rückzug. Das ist kein Zufall.

1989/1990 ist die alte, zynische Ordnung des Kalten Krieges untergegangen - zum Glück, gerade für uns Deutsche. Doch seither hat die Welt noch keine neue Ordnung gefunden. Heute entlädt sich das Ringen um neue Ordnung, das Kräftemessen zwischen alten und neuen Mächten, zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, mit einer Vielzahl von Interessen, Ambitionen, Ideologien. Vieles von dem, was uns über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte vertraut geworden ist, das geht gerade zu Bruch - und wir haben es bislang nicht geschafft, diesen Prozess zum Halten zu bringen:

 Mit der Annexion der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine hat Russland mit der Nachkriegsordnung in Europa gebrochen, mit der meine Generation aufgewachsen ist.
 Syrien, Irak, Libyen – die Konflikte rücken nicht nur näher an Europa heran, sondern sie sind mitten unter ans angekommen – in der Gestalt von Flüchtlingen und Abertausenden Schutzsuchenden aus den Krisenherden des Mittleren Ostens.
 Und noch eine Steigerung kommt hinzu: der Krisenmodus hat die Europäische Union selbst erfasst. Am Donnerstag mussten wir erleben, was kaum jemand für möglich hielt oder halten wollte - auch ich habe bis zuletzt gehofft, dass es anders kommen würde. Großbritannien, ein großer und entscheidender Partner, wird die Europäische Union verlassen. Die Fliehkräfte, die an Europa zerren, sind enorm.
 Und man muss in der Brexit-Abstimmung –neben ihren europapolitischen Folgen – auch noch eine weitere Dimension erkennen: je komplexer die Lage, desto lauter die Lockrufe der Populisten. Ob Trump, oder ob Rechtspopulisten auch bei uns in Europa: das sind Leute, die auf die Probleme einer immer komplexeren Welt die ganz einfachen, die ganz schwarz-weißen Parolen bereithalten nach dem Motto: „Abschottung ist die beste Lösung! Lasst die Welt mit ihren Problemen draußen!“ Und so sehr verantwortliche Politik weiß, wie falsch diese Antworten sind, so sehr müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass solche Populisten leider auf Wählerinnen und Wähler auch in unseren Demokratien eine starke Sogwirkung entfalten.

Was wir sehen, unterm Strich, ist eine widersprüchliche und unübersichtliche Welt. Eine Welt, die einerseits immer enger zusammenwächst, aber deren Gegensätze zugleich immer schneller und ungebremst aufeinanderprallen. Wir sehen eine Welt auf der Suche nach neuer Ordnung und ich vermute, diese Suche wird noch lange anhalten.

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Wenn dem so ist, dann muss das Folgen haben für unser außenpolitisches Handeln. Deutschland, als wirtschaftlich und politisch und gesellschaftlich eng mit der Welt vernetztes Land –manche Studien sagen sogar: als meistvernetztes Land der Welt- ist ganz besonders auf eine funktionierende, friedfertige und regelbasierte internationale Ordnung angewiesen. Und weil das so ist, müssen wir umso mehr tun für den Erhalt und die Weiterentwicklung dieser Ordnung.

Den Deutschen wird gern der Satz zugeschrieben: „Ordnung muss sein“.

Für sich betrachtet ist das eine ziemlich sinnlose Aussage – zumindest in der Außenpolitik. Ordnung ist ja kein Selbstzweck. Wer nach Ordnung ruft, muss dazusagen: Für welche Ordnung und welche Ziele von Ordnung setzen wir uns ein? Für uns heißen die Zielvorstellungen: Frieden — Gerechtigkeit — Innovation — Partnerschaft. Vielleicht haben Sie die Schlagworte schon auf den Bannern im Eingangsbereich gesehen. Was es damit im Kontext der Vereinten Nationen auf sich hat, will ich gegen Ende meiner Rede erläutern.

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In diesen Schlagworten spiegelt sich unsere Werthaltung. Aber gleichzeitig müssen wir uns in der Außenpolitik bewusst darüber sein, wonach andere Akteure auf der Weltbühne in ihren Ordnungsvorstellungen suchen. Wo liegen regionale, kulturelle, gesellschaftliche Unterschiede? Was sind die Geschichten und Erzählmuster, die Träume und Traumata von Gesellschaften, die die politischen und sozialen Verhältnisse über die faktische Ordnung hinaus begründen?

Nach einem langen Tag während der letzten VN-Generalversammlung stand ich abends mit dem Außenminister eines befreundeten Landes vor unserem Delegationshotel in Manhattan und wir schauten einem Teil meiner Delegation hinterher, der da gerade das Hotel verließ, und da sagte der Kollege zu mir: „Frank-Walter, eigentlich mag ich Euch Deutsche: Fußball, Autos, Bier... Aber eins verstehe ich nicht und wollt ich Dich immer schon fragen: Ihr Deutschen geht bei Rot nicht über die Straße, auch wenn weit und breit kein Auto kommt. Das könnte ich meinen Leuten nie beibringen – wieso auch?“

Das mag eine triviale kleine Anekdote sein, aber die Frage dahinter ist nicht trivial: Woher beziehen Ordnungen, Regeln, Institutionen eigentlich ihre Legitimität und Akzeptanz? Angesichts der Verwerfungen und Infragestellung von Ordnungen auf dieser Welt–ich nenne nur hier den Streit um das Südchinesische Meer- wird das Wissen und die Auseinandersetzung über solche zugrunde liegenden, kulturellen, tief verwurzelten Unterschiede umso wichtiger.

Und wer sich auf diese Auseinandersetzung wirklich einlässt, dem wird schnell klar, dass eine Ordnung, die uns gut erscheint –und ich spreche jetzt nicht nur von Fußgängerampeln-oftmals von anderen nicht so gesehen wird.

Ein renommierter Politikwissenschaftler aus Kamerun, Achille Mbembe, hat es neulich in Berlin so formuliert: „Eure Ordnung ist unsere Unordnung.“

Die Offenheit für andere Sichtweisen, die Bereitschaft zum Verstehen und zur Verständigung ist Voraussetzung von Außenpolitik. Es ist nicht zuletzt die Bereitschaft zu Verstehen und Verständigung,, die Deutschland einen exzellenten Ruf als Vermittler in vielen Konflikten verschafft hat.

Manchmal werden wir dafür kritisiert – wahlweise als „Russland-Versteher“ oder als „Iran-Versteher“ usw. Ich frage mich dann immer: Wo kommt Außenpolitik eigentlich hin, wenn Verstehen-Wollen zum Schimpfwort wird? Verstehen heißt ja nicht automatisch Einverstanden-Sein. Aber ohne Verstehen kann es keine Verständigung geben!

Für mich heißt das, dass die Regionalstudien, wie sie das GIGA zu Afrika, Lateinamerika, Asien und Nah- und Mittelost betreibt, in Wissenschaft, Forschung und Praxis wieder an Stellenwert gewinnen müssen. Daher setzen wir gerade auch das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin aufs Gleis, um das Wissen über diese wichtige Region zu erweitern und zu vertiefen.

Frau Prof. Narlikar, was Sie kürzlich als These für die Sozialwissenschaften formuliert haben – weg vom West-Zentrismus hin zu einem echten Pluralismus von Methoden und Sichtweisen, das gilt in ähnlicher Weise für die Außenpolitik, wenn wir das Ziel haben, zu wirklich gemeinsamen Vorstellungen von Ordnung zu gelangen.

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So, genug Sozialwissenschaft – was heißt das für die deutsche Außenpolitik konkret? Ich muss sonst fast an den alten Witz denken: Treffen sich zwei Sozialwissenschaftler. Der eine hat eine politische These entwickelt und trägt sie vor. Der andere hört zu, denkt kurz nach und sagt: „Hm, das klingt, als funktioniert es in der Praxis – aber funktioniert es auch in der Theorie?“

In der praktischen Außenpolitik ist die Arbeit an der Ordnung von morgen nicht trennbar von der akuten Konfliktlösung im Heute. Denn in der Konfliktlösung und auch in der Krisenprävention beweist sich und übt sich das, was wir gern den „effektiven Multilateralismus“ nennen. Schauen Sie auf die Reihe der Partner:

 ob im Rahmen der E3 plus 3 zu Iran,
 dem Normandie-Format mit Frankreich zur Ukraine,
 aktuell im Vorsitz der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa,
 oder der internationalen Kontaktgruppe zu Syrien, diesem schon viel zu lange währenden, grausamen Konflikt. Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, wie essenziell es ist, Iran und Saudi-Arabien als Stellvertretermächte, die um Hegemonie ringen, mit am Verhandlungstisch zu haben.
 Und schauen Sie nicht zuletzt auf unsere vielfältigen Einsätze im System der Vereinten Nationen: nicht nur als einer der größten Financiers sondern auch als Beitragende zu den Friedensmissionen der Vereinten Nationen. Zusammen mit meinem französischen Kollegen war ich gerade in Mali, wo wir unter dem Dach der Friedensmission MINUSMA gemeinsam mit den Niederlanden, der Schweiz, Belgien, Dänemark, Estland und Tschechien an dem mühsamen Weg arbeiten, Mali zu stabilisieren und das innermalische Friedensabkommen umzusetzen.

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Effektiver Multilateralismus beweist sich also in den akuten Krisen ganz konkret. Aber Krisenmanagement soll nicht der Fokus meines heutigen Vortrages sein, und glauben Sie mir: Mir ist eine Pause von den Krisen mal ganz recht… Ich möchte den Blick darüber hinaus wenden: auf die langfristigen Herausforderungen in einer sich wandelnden Weltordnung. Ich möchte dabei auch nicht in erster Linie über die NATO oder Russland sprechen. Sondern in unser Blickfeld rücken zunehmend die aufstrebenden Mächte in Asien, Lateinamerika, Afrika und der arabischen Welt, denen sich auch die Forschung des GIGA widmet.

Vielleicht ist es da ganz passend, dass wir hier heute in diesem wunderbaren Saal sitzen, der unseren Blick ja ganz automatisch in die weite Welt hinaus führt. Schauen Sie sich mal um an den Wänden: da sehen Sie die prächtigen Wandgemälde von Hugo Vogel – sie zeigen die stolze Geschichte Hamburgs von der Christianisierung bis zur Industrialisierung. Aber eine Konstante zieht sich durch alle Bilder: das blaue Band der Elbe. Dieser Fluss zieht unseren Blick hier vom Rathausplatz nach Übersee, hin zu den aufstrebenden Ländern.

Denn sie sind es, China zuvorderst,

 die zunehmend regionale Machtgleichgewichte und vereinbarte Regeln in Frage stellen – in den Spannungen um das Südchinesische Meer wird diese Frage schon bedrohlich deutlich, eine Frage, in der die Geltung des Völkerrechts und seiner Institutionen empfindlich auf die Probe gestellt sein wird,
 Player, die internationale Organisationen und Entscheidungsmechanismen herausfordern,
 die Reformen verlangen,
 und die neue Organisationen auf Basis eigener Ordnungsvorstellungen gründen.

Deutschland gilt in der Außenpolitik als „ehrlicher Makler“, und deshalb sind wir für diese Player ein gesuchter Partner, nicht nur was Wirtschaft und Kultur angeht, sondern auch bei der Gestaltung von neuen Elementen der globalen Ordnung.

Das wird mir deutlich, wo immer ich hinreise. Ob nach China, Indien, Brasilien oder zuletzt nach Mexiko und Argentinien. Wenn zuweilen der Eindruck entsteht, wir befänden uns in einem globalen Wettstreit, in dem des Einen Gewinn des Anderen Verlust ist, dann greift das zu kurz. Es bestehen viele Anknüpfungspunkte für gemeinsame Lösungen in Konflikten, und für die gemeinsame Arbeit an neuen Ordnungselementen.

Ein paar Beispiele:

 Thema Digitalisierung: Gemeinsam mit Brasilien haben wir 2014 in den Vereinten Nationen eine Initiative zur Privatheit im Internet gestartet – eine wichtige Grundlage für die weitere Suche nach Ordnung in diesem noch weitgehend ordnungsfreien Raum.
 Thema Migration: Gemeinsam mit Marokko übernehmen wir im kommenden Jahr den Vorsitz im „Global Forum on Migration and Development“. Im Mittelpunkt steht hier der Austausch zwischen Herkunfts- Transit- und Zielländern. Wir wollen diskutieren, wie Migration für alle Beteiligten gewinnbringend und fair gestaltet werden kann. Denn eines ist klar: Dieses Thema wird an Bedeutung noch gewinnen. Die Entwicklung nachhaltiger Lösungsansätze steht deswegen auch im Mittelpunkt des Berliner Dialogs, den ich mit den Leitern internationaler Organisationen begonnen habe.
 Thema Klimaschutz: Treibende Kräfte für den Abschluss des Klima-Vertrags im letzten Jahr waren auch die zahlreichen kleinen Inselstaaten, denen angesichts steigender Meeresspiegel das sprichwörtliche Wasser bis zum Hals steht. Für sie ist Deutschland ein wichtiger Partner, denn wir haben eine Vorreiterrolle bei Klimaaußenpolitik. Das gilt übrigens auch für die in dieser Thematik eher schwierigeren Staaten wie China, Indien oder die Golfstaaten, für die wir in Punkto Energiewende und erneuerbare Energien ein gesuchter Gesprächspartner sind.

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Fest steht aber auch –und hier teilen wir die Sichtweise vieler Partner aus dem Süden-, dass wir diese und andere große Themen nur werden meistern könnten, wenn die Institutionen der Vereinten Nationen tatsächlich die Welt des 21. Jahrhunderts widerspiegeln – und nicht die von 1945. Deshalb setzen wir uns mit Brasilien, Indien und Japan für Fortschritte ein hin zu einer Reform des VN-Sicherheitsrats. Da sind wir wieder bei Legitimität von Ordnung: Die globale Akzeptanz und Zukunftsfähigkeit der Vereinten Nationen hängt davon ab, wie repräsentativ ihre Institutionen in den Augen der Staatengemeinschaft sind.

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Sie haben gemerkt: Ich rede ausführlich über die Bedeutung und Rolle der Vereinten Nationen als globaler Ordnungsrahmen. Das ist kein Zufall. Morgen wird in New York darüber entschieden, welche unserer europäischen Partner für die kommenden zwei Jahre als nichtständige Mitglieder im UNO Sicherheitsratsrat sitzen werden. Italien, Niederlande und Schweden kandidieren für die zwei Sitze, die zur Wahl stehen.

Ich will das zum Anlass nehmen, um heute offiziell bekannt zu geben, dass sich auch Deutschland erneut für einen Sitz in diesem Gremium bewirbt. Genau gesagt als nichtständiges Mitglied für die Jahre 2019/20. Das bedeutet, dass in zwei Jahren auch wir uns in New York zur Wahl durch die VN-Generalversammlung stellen werden. Das scheint noch eine Weile hin zu sein. Aber unsere Kampagne beginnt heute und wird in diesem Herbst zu Hochtouren anlaufen. Jetzt wissen Sie also, was die schicken Aufsteller im Foyer zu bedeuten haben…

Frieden – Gerechtigkeit – Innovation – Partnerschaft, steht darauf. So haben wir unsere Kampagne für einen Sitz im Sicherheitsrat überschrieben.

Für uns ist klar: Wir brauchen die Vereinten Nationen und den Sicherheitsrat mehr denn je im Bemühen um Frieden in dieser unfriedlichen Zeit.

Und auch wenn der UNO-Sicherheitsrat zunehmend in die Kritik gekommen ist und in der Tat leider manchmal blockiert ist, so bleibt er doch das einzige Organ, das völkerrechtlich bindende Maßnahmen zur Konfliktprävention und Friedenssicherung beschließen kann. Bei aller Skepsis: im letzten Jahr hat der Rat 60 von 63 Resolutionen im Konsens verabschiedet. Der Sicherheitsrat ist zentraler globaler Krisenmanager! Gerade in Afrika leisten UN-Friedensmissionen Stabilisierung, fördern Versöhnung und schützen Zivilisten. Auch in Israel und Libanon bleiben sie unersetzlich. Und der Sicherheitsrat ist das zentrale Forum, um den Westen und Russland im Dialog und handlungsfähig zu halten, zum Beispiel im Ringen um eine Lösung für Syrien.

Aber: Auch im Sicherheitsrat geht es nicht mehr nur um klassische Außen- und Sicherheitspolitik. Mit den Themen Klima, Gesundheit, Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit, Zugang zu Bildung setzt sich der Sicherheitsrat inzwischen auseinander –denn auch sie sind am Ende Voraussetzung für Frieden und Sicherheit weltweit. Wir wollen, dass der Sicherheitsrat im Krisenmanagement den gesamten Konfliktzyklus in den Blick nehmen sollte: von Prävention, Mediation bis hin zu Stabilisierung und Konfliktnachsorge. Diese Philosophie einer vorausschauenden Außenpolitik steht ja auch hinter den Neuerungen der deutschen Außenpolitik in den letzten Jahren. Einige von Ihnen haben begleitet, wie wir eine Abteilung für Krisenprävention und Stabilisierung im Auswärtigen Amt eingerichtet haben. Deutschland beteiligt sich verstärkt an Friedensmissionen mit zivilem Personal, Polizei und Militär. Und wir sind dabei, das Zentrum für Internationalen Friedenseinsätze zu einer vollwertigen Entsendeorganisation aufzubauen.

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Der nächste Schritt in unserem Ansatz heißt: Nachhaltiger Frieden nicht ohne Gerechtigkeit. Mit der 2030 Agenda für Nachhaltige Entwicklung hat die Staatengemeinschaft im vergangenen Jahr so etwas wie einen globalen Gesellschaftsvertrag geschlossen. Er soll vorbereiten, was Willy Brandt schon 1979 in dem visionären Bericht der sogenannten „Nord-Süd-Kommission“ gefordert hat: eine Ordnung für Frieden und Gerechtigkeit. Denn in einer globalisierten Welt gibt es Gerechtigkeit nicht ohne Frieden, und nachhaltigen Frieden nicht ohne Gerechtigkeit.

 Deshalb unterstützen wir die Ziele der Agenda 2030.
 Deswegen setzen wir uns für die Förderung von Rechtstaatlichkeit ein. Recht geht vor Macht. Dazu dient natürlich auch der Internationale Seegerichtshof, der hier in Hamburg zuhause ist.
 Und deshalb ist der weltweite Einsatz für Menschenrechte ein Grundpfeiler unserer Außenpolitik. Und: ein integraler Bestandteil unseres Engagements in den Vereinten Nationen! Wenn Menschenrechte verletzt werden, ist das oftmals ein erstes Warnsignal für einen bevorstehenden Konflikt. Daher setzen wir uns dafür ein, dass der Sicherheitsrat in New York und der Menschenrechtsrat in Genf enger miteinander kooperieren.

Und wenn ich nochmal auf Brandt zurückkomme, wenn also Frieden und Sicherheit einerseits und Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Verteilung andererseits global miteinander verbunden sind, dann, finde ich, sollten wir uns dem Thema Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit auch im Rahmen unseres G20-Vorsitzes im kommenden Jahr widmen. Da bin ich beim dritten Stichwort unserer Kampagne: Innovation. Gerade die hochentwickelten Staaten der G20 müssen sich doch die Frage stellen, wie wir technologischen Fortschritt, Digitalisierung, den Quantensprung bei erneuerbaren Energien und Umwelttechnologien, den wir in der deutschen Energiewende gemacht haben – wie wir all das nutzen, um wirtschaftliche und politische Teilhabe viel stärker weltweit, auch im globalen Süden voranzubringen. Das ist in unserem Eigeninteresse für eine stabilere, sicherere Welt, aber es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit.

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Zuletzt, meine Damen und Herren, steht über all diesen Aspekten das vierte Leitmotiv unserer Kandidatur: Partnerschaft.

Willy Brandt hat gesagt: „Wir wollen ein Volk guter Nachbarn sein.“ Damals, bei seinem Amtsantritt als Bundeskanzler galt dieser Satz noch in erster Linie unseren europäischen Nachbarn – Frankreich, Polen und allen, die unter Nazi-Deutschland Schlimmstes erlitten hatten. Heute, wo Männer, Frauen und Kinder aus Aleppo, Damaskus oder Erbil bei uns Zuflucht suchen, und wo auch die Agenda 2030 der Vereinten Nationen das Ziel einer „globalen Partnerschaft“ unter 190 Mitgliedsstaaten formuliert hat, dann gilt noch immer: ’Wir Deutschen wollen ein Volk guter Nachbarn sein’, doch wir sollten heute hinzufügen: ’den nahen und den fernen Nachbarn gleichermaßen’. In diesem Sinne werbe ich für einen deutschen Sitz im Sicherheitsrat 2019/20, und ich würde mich freuen, wenn Sie alle uns dabei unterstützen würden.