Meine Damen und Herren,
Herr Präsident,

Für allzu viele ist die Welt zu einem unsicheren Ort geworden. Immens scheinen unsere Herausforderungen, bisweilen fast ausweglos die zahlreichen Konflikte, die uns umgeben.

Aber - wir alle hier, die wir politische Verantwortung tragen, stehen vor einer Wahl.

Der Wahl:
 Zwischen Resignation oder Engagement – im Angesicht der Krisen
 Zwischen Abschottung oder multilateraler Zusammenarbeit
 Zwischen nationaler Nabelschau oder gemeinsamer Verantwortung füreinander

Wir haben die Wahl:

Geben wir den zivilisatorischen Fortschritt preis, den die Gründergeneration der Vereinten Nationen nach der Erfahrung von zwei Weltkriegen errungen hat und treten den Rückweg an - ins 19. Jahrhundert? In die Zeit fragiler, zweckbezogener Machtallianzen und nationaler Machtkonkurrenzen?

Oder gehen wir vorwärts und widmen wir uns gemeinsam den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts? – sei es Migration, Klimawandel oder Terrorismus.

Und mit Blick auf die dramatischen Syrien-Treffen dieser Woche füge ich hinzu: Wir haben auch die Wahl, ob wir auf die Kraft der Diplomatie setzen. Oder ob wir resigniert die Hände senken – in Anbetracht der zahlreichen Konflikte, die uns umgeben. Syrien, Libyen, Jemen, Ostukraine. Geben wir auf und lassen zu, dass diese Konflikte weiter eskalieren? Oder stehen wir zu unserer Verantwortung und arbeiten trotz aller Rückschläge weiter an Lösungen? Wir haben die Wahl.

Auch in Europa stehen wir vor einer Wahl, hier, wo Großbritannien seine Wahl getroffen hat–gegen den weiteren Weg in der Europäischen Union. Kämpfen wir dafür, dass Europa jetzt zusammenhält? Oder lassen wir zu, dass dieses großartige Friedens- und Gesellschaftsprojekt wieder zerfällt oder gar von Populisten auseinandergetrieben wird? Wir haben die Wahl.

Auch in Asien stellt sich eine Wahl, dort, wo neue Mächte um Einfluss ringen. Sehen sie ihre Zukunft allein in der eigenen Stärke? Oder liegt der Schlüssel einer guten Zukunft und kooperativer Sicherheit in ihrer Einbindung in die internationale Ordnung? Unsere asiatischen Partner haben die Wahl.

Und auch die USA stehen vor einer Wahl. Schon in sechs Wochen. Und auch hier dreht sich die Wahl um Fragen eines vermeintlich möglichen Rückzugs aus einer krisenbeladenen Welt, den einige fordern. Oder der Zusammenarbeit mit internationalen Partnern, um Probleme in dieser Welt zu lösen. Es ist eine für uns alle wichtige Wahl.

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Rückzug, Resignation, Alleingang - oder gemeinsame Verantwortung für eine bessere Zukunft: Das ist die Wahl, vor der wir vielerorts stehen.

Von der Entscheidung in dieser Wahl hängt ab, ob es uns gelingt, nachhaltige Lösungen für unsere großen akuten Herausforderungen zu finden. Und damit meine ich in diesen Tagen ganz besonders die Syrien-Krise und das Thema Flucht und Migration.

Aber – weit über das akute Krisenmanagement hinaus – steckt darin auch die Entscheidung, welche Richtung unsere Welt einschlägt, in welcher Ordnung wir in Zukunft zusammenleben werden.

Ziel und Fluchtpunkt für die deutsche Außenpolitik sind dabei klar: Wir wollen eine friedliche und gerechte Welt gestalten. Und wir wollen sie gemeinsam mit allen Partnern gestalten, die dieses Ziel teilen!

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Dafür sind und bleiben die Vereinten Nationen unser zentraler Ordnungsrahmen.

Und im Umfeld aller Krisentreffen macht es mir Hoffnung, dass wir für diesen Weg hier in den VN doch eine zentrale Richtungsentscheidung, die richtige Wahl getroffen haben - zugunsten von Gemeinsamkeit, Nachhaltigkeit und Transformation: Mit der Agenda 2030!

Die Agenda ist ein Weltzukunftsvertrag, der Fluchtpunkt, die lange Linie für unser gemeinsames Handeln. An ihr sollten wir unsere Politik ausrichten – zu Menschenrechten, Rechtstaatlichkeit, zum Kampf gegen Armut und Diskriminierung. Auch während unseres G20-Vorsitzes im nächsten Jahr werden wir das Thema der globalen Gerechtigkeit auf die Tagesordnung setzen!

Unser ausdrücklicher Dank gilt VN-Generalsekretär Ban Ki-moon, der die Agenda aufs Gleis gesetzt hat. Zugleich danken wir ihm für sein Engagement für das historische Klimaabkommen von Paris, welches das deutsche Parlament in dieser Woche ratifiziert hat.

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Meine Damen und Herren,

wo, wenn nicht hier in den Vereinten Nationen können wir unter Beweis stellen: Nur Zusammenarbeit bringt uns voran, auf dem Weg zu Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, zu Frieden und Sicherheit. VN-Charta und Völkerrecht sind die Grundlage unseres Zusammenlebens.

In eklatanter Weise bricht immer wieder Nordkorea zentrale Prinzipien des Völkerrechts. Wir verurteilen den jüngsten Atomtest Nordkoreas auf das Schärfste. Wir dürfen nicht tolerieren, wenn ein Land die Sicherheit in seiner Region aufs Spiel setzt.

Meine Damen und Herren,
Herr Präsident,

die VN-Organisationen bieten die Instrumente für unsere Arbeit – hier in New York, und in den Krisenregionen.

In Libyen und Jemen unterstützen wir die unermüdliche Arbeit der VN- Sondergesandten, politische Lösungen voranzutreiben.

Und in Syrien ist klar: Ohne die engagierte Arbeit der VN und ihrer Experten wäre das Leid heute noch größer, wäre die Hoffnung auf eine Lösung noch geringer.

Die Hoffnung, die letzte Woche mit der Waffenruhe aufkeimte, ist unter dem so tödlichen wie zynischen und abscheulichen Angriff auf die humanitären Helfer in den letzten Tagen wieder begraben worden.

Heute könnte die Lage nicht ernster sein! Wieder stehen wir vor der Wahl: Gelingt es uns, den Einstieg in die Waffenruhe zu finden, die auch den humanitären Zugang endlich möglich macht, um den Menschen das zu bringen, was sie zum Überleben brauchen. Dazu habe ich eine Vereinbarung über einen mehrere Tage dauernden Stopp militärischer Flugbewegungen vorgeschlagen. Assads Luftwaffe muss ihre Angriffe stoppen. Dafür sehe ich auch Moskau in der Verantwortung. Gelingt uns das nicht, werden alle Bemühungen um eine politische Lösung im Bombenhagel untergehen. Schon deshalb müssen wir unsere gestern in der ISSG gescheiterten Bemühungen um eine Waffenruhe fortsetzen.

Während die Welt in New York um eine Feuerpause ringt, bombt Assad Aleppo weiter zu Trümmern. Das zeigt einmal mehr: Das Assad-Regime kann und darf die Zukunft Syriens nicht bestimmen. Aber genauso wenig dürfen wir zulassen, dass der Konflikt von nahen oder fernen Mächten genutzt wird, um die politische und ethnische Landkarte des Mittleren Ostens neu zu zeichnen. Die äußeren Grenzen Syriens müssen Bestand haben und neue innere Grenzen dürfen wir nicht ziehen. Die Parteien im Land und in der Region dürfen und sollen ihre berechtigten Interessen benennen. Sie müssen diese aber in einen fairen Ausgleich einbringen. Mit dem Insistieren auf eine der vielen absoluten Wahrheiten wird der Frieden nicht näher rücken! Dieser Krieg wird keinen Sieger haben!

Angesichts all dieses Leids stehen wir in der Pflicht, jetzt zu helfen und die Not der Menschen zu lindern. Deutschland ist heute einer der größten humanitären Geber. Für Syrien und die Nachbarstaaten haben wir bisher rund 2,5 Mrd. Euro in die Hand genommen.

Wir engagieren uns besonders in der Stabilisierung der vom IS befreiten Gebiete. In Tikrit haben wir zusammen mit VN-Organisationen Schulen und Brunnen wieder aufgebaut, so dass 90% der geflüchteten Menschen zurückkehren konnten. In Ramadi konzentrieren wir uns auf Minenräumung. Und für Mossul bereiten wir uns jetzt darauf vor, den lokalen Kräften zu helfen, den Wiederaufbau der hoffentlich bald befreiten Stadt auf den Weg zu bringen.

Gleichzeitig fördern wir den Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt in Syriens Nachbarstaaten, die so Großes leisten –in der Türkei, in Jordanien, im Libanon-, damit die Menschen dort eine Bleibeperspektive innerhalb ihrer Region sehen.

Bei uns in Deutschland, wo wir im letzten Jahr mehr als einer Millionen Menschen Zuflucht gewährt haben, bilden wir schon jetzt Flüchtlinge mit den notwendigen Fähigkeiten aus, die zum Wiederaufbau der Städte erforderlich sind. Damit der Glaube an eine Zukunft in der Heimat nicht Hoffnung bleibt, sondern Realität werden kann.

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Unsere Antwort auf Flucht und Migration ist eine globale Zukunftsaufgabe! Und klar ist, dass diese Herausforderung noch größer werden wird, wenn Konflikte, Not und Armut andauern.

Deswegen müssen wir die Ursachen gemeinsam angehen. Und: wir müssen die Architektur für den internationalen Umgang mit Flucht und Migration verbessern. Mit dem Vorsitz im Global Forum on Migration and Development gemeinsam mit Marokko wollen wir in den kommenden beiden Jahren dazu beitragen. Und mit dem Berlin Roundtable setzen wir darauf, die Strukturen der Humanitären Hilfe verbessern.

Auch die beiden Migrations-Gipfel diese Woche haben wichtige Weichen gestellt für mehr gemeinsames Handeln. Unser Dank dafür gilt VN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und Präsident Barack Obama.

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Engagement und Zusammenarbeit - beides müssen wir auch in Europa neu beleben. Neue Gräben haben sich aufgetan auf unserem Kontinent - nach Russlands völkerrechtswidriger Annexion der Krim und dem Konflikt in der Ostukraine. Die Sicherheitslage hat sich verändert.

Darauf müssen wir reagieren – zum einen durch die Stärkung unserer eigenen Verteidigungsbereitschaft. Aber auch mit gleichzeitigem Engagement: Gemeinsam mit Frankreich arbeiten wir im "Normandie-Format" mit Russland und der Ukraine unermüdlich an einer politischen Lösung des Ukraine-Konflikts. Und mit dem Rahmenabkommen zur Truppenentflechtung gibt es seit dieser Woche endlich wieder Bewegung. Für die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen ist ein Waffenstillstand nicht alles. Aber ohne ein Schweigen der Waffen werden wir politisch nicht weiterkommen.

Aber es geht noch um mehr:

Uns muss bewusst sein, dass sich echte Sicherheit in Europa auf Dauer nur als kooperative Sicherheit organisieren lässt.

Deswegen habe ich vorgeschlagen, die Rüstungskontrolle in Europa wieder stärker in den Blick nehmen. Und zwar nicht als Ersatz für unerfüllte Verpflichtungen aus bestehenden Verträgen. Sondern mit Blick auch auf neue Herausforderungen, neue Technologien und Bedrohungen, von denen viele in bestehenden Dokumenten noch gar nicht erfasst sind. Unser Ziel ist ein mehr an Sicherheit für alle!

Weil wir den Dialog zwischen Ost und West gerade in diesen schwierigen Zeiten stärken wollen, haben wir in diesem Jahr den Vorsitz der OSZE übernommen - der einzigen Organisation, in der Ost und West weiterhin regelmäßig zusammenarbeiten. Wir brauchen die VN und solche Regionalinstitutionen wie die AU und die OSZE, damit aus divergenten Interessen und Meinungsverschiedenheiten nicht dauerhafte Entfremdung entsteht und der Boden für immer neue Konflikte bereitet wird.

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Mit aller Kraft daran zu arbeiten, die Gräben in Europa zu überwinden- dazu mahnt uns Deutsche unsere eigene Geschichte.

Als Willy Brandt im Jahr 1973 hier in diesem Saal sprach, nachdem die Fahnen der beiden Teile Deutschlands vor dem Gebäude gehisst worden waren, sagte er:

"In einer Welt, in der zunehmend jeder auf jeden angewiesen ist und jeder von jedem abhängt, darf Friedenspolitik nicht vor der eigenen Haustür haltmachen."

Das gilt in unserer vernetzten Welt noch mehr als damals. Und es gilt umso mehr für ein großes, wohlhabendes Land, von dem unsere Partner – zu Recht - erwarten, dass es die Rolle wahrnimmt, die unserer Größe und unseren Möglichkeiten entspricht!

Deshalb bewirbt Deutschland sich für einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat für die Jahre 2019/2020. Für Frieden, Gerechtigkeit, Innovation und Partnerschaft. Das sind unsere Ziele, mit denen wir unsere Kandidatur überschrieben haben und die uns leiten werden.

Trotz Krisen und Konflikten, ich bleibe überzeugt: Die Zukunft liegt in unserer Hand. Wir werden die Welt zu einem besseren Ort machen, wenn wir Verantwortung gemeinsam übernehmen – nicht gegeneinander, sondern miteinander - und vor allem für die, die uns als nächste Generation nachfolgen, arbeiten.

Wir haben die Wahl. Aber wir müssen uns entscheiden!