Obwohl jeder Alexandre Benalla sehen konnte, wie er sich überall rund um den Präsidenten der Republik zu schaffen machte, war er aber nicht mit seiner Sicherheit betraut. Aber was war also seine wahre Funktion?

Wer ist Alexandre Benalla?

Der von Le Monde entdeckte Benalla-Fall, hat sehen lassen, was hinter den Kulissen vom Elysée passiert. Ein Mitarbeiter von Emmanuel Macron ist ein Schläger, der sich mit einer Armschleife der Polizei und einem internen Polizeifunk ausgestattet als Polizist ausgibt und zwei Demonstranten am 1. Mai verprügelt. Er profitierte von "ungesunden Freundschaften", so die Worte des Präfekten Michel Delpuech. Dieser Aspekt der Dinge wird nun gerichtlich untersucht, wo 5 Personen angeklagt sind. Er wird auch verwaltungsrechtlich von dem General Inspektor-Dienst der Polizei (IGPN) untersucht.

Nun ist es aber so, dass alles andere als ein unbedeutender Mitarbeiter, dieser Schläger niemand anderer war, als der "stellvertretende Direktor des Büros des Präsidenten der Republik." Er begleitete seinen Chef bei sehr vielen sowohl öffentlichen als auch privaten Gelegenheiten, und hatte einen Schlüssel von dessen Ferienwohnung. Eine permanente Erlaubnis, Waffen zu tragen, wegen seiner Funktion (welche genau?) war ihm gewährt worden. Ein Dienstauto mit Super-Drehlichtern war ihm (von wem?) zugeteilt worden. Er besaß eine Zugangskarte an die Nationalversammlung, einen Diplomatenpass und eine Akkreditierung für klassifizierte streng-geheime Sachen der Verteidigung (warum?).

Laut Polizei-Gewerkschaftler, die unter Eid vor der Senat-Fact-Finding-Kommission aussagten, flösste dieser Schurke des Präsidenten selbst den Polizisten "Terror" ein. Er zögerte nicht, zu drohen und hochrangige Mitglieder der Polizei und der Gendarmerie zu beschimpfen, denen er selbst Befehle zu erteilen wagte. Er begab sich zu Sitzungen des Innen-Ministeriums und in das Polizeipräsidium, von Geheimagenten begleitet. Er rekrutierte "Wachen" für das Elysee. -Alle Behauptungen wurden vom Amt des Präsidenten der Republik glatt geleugnet -.

Präsident Macron sagte, von Alexandre Benalla „verraten“ worden zu sein und ihn mit 15 Tagen Arbeitsverbot und Unterbrechung seines Gehalts sanktioniert zu haben und ihm einen weniger wichtigen Posten zugewiesen zu haben. Jedoch wurde die Geldstrafe aus "technischen" Gründen nicht umgesetzt. Darüber hinaus begleitete ein paar Tage später, mangels "Personal", der gleiche Benalla wieder den Präsidenten, so als ob nichts passiert wäre. Keiner der für die Sicherheit des Präsidenten Verantwortlichen, auch nicht der Innen-Minister, war über diese ständige Nähe besorgt, obwohl sie von der Prügelei vom 1. Mai wussten.

Deshalb diese naheliegende Frage der als Untersuchungsausschuss konstituierten Parlamentarier: gehörte Alexandre Benalla einer im Aufbau befindlichen parallelen Polizei an, die nur Befehle von Präsident Macron erhält?

Man muss hier richtig verstehen, dass gemäß der französischen Verfassung, der Präsident der Republik keine Macht über die Ministerien hat, die allein der Regierung unterstehen. Seine Sicherheit wird durch Beamte, zivile und militärische, gewährleistet [1]. Wenn der Präsident einen Sicherheitsdienst hätte, der allein ihm unterstellt wäre, könnte dieser nicht kontrolliert werden, weil er dann über eine für die Dauer seines Mandats ihm zugestandene "Unverantwortlichkeit" verfügen würde.

Nach sechs Tagen Schweigen hat sich der Präsident der Republik an seine für einen Abend versammeltem Gläubigen gerichtet. Da er vergessen hatte, dass auch seine Anhänger sich Fragen stellen, hat er sie gegen seine Feinde, die ihm Läuse auf dem Kopf suchen, mobilisiert. Er erklärte, dass er durch seinen Kabinettdirektor verraten wurde. Er beanspruchte, allein der Chef zu sein und daher auch der einzige "Verantwortliche" für diesen Besetzungs-Fehler (in Wirklichkeit, der alleinige Autor dieses Fehlers).

Diese Rede war schön und berührend. Aber sie beantwortet nicht die Frage.

Vor allem macht sie die Arbeit der Parlamentarier zunichte, indem sie die befragten Persönlichkeiten entbindet, detailliert zu antworten, da nur der Präsident, - erst am Ende seiner Amtszeit - "verantwortlich" sein wird. Weitergehen bitte, es gibt hier nichts zu sehen!

Die Parlamentarier waren bereits durch eine eidesstattliche Erklärung des Direktors der öffentlichen Ordnung der Polizeipräfektur, Alain Gibelin, erschüttert worden, der den Aussagen des Elysees widersprach... bevor er selbst am nächsten Tag seine Aussage korrigierte; dann durch die Widersprüche zwischen der offiziellen Beschreibung des Postens von Alexandre Benalla und die Motive, die auf seinem vom Präfekt notierten Waffenpass standen; oder sogar durch die Erklärung des Elysee-Palastes, dass er keine Dienst-Wohnung besäße, eine Aussage, die sein Steuerauszug, anlässlich einer Adressänderung am 9. Juli in die Kaserne von Quai Branly, zunichtemacht.

Ganz zu schweigen von dem Diebstahl von Überwachungsvideos auf der Polizei-Präfektur von Paris, durch Polizisten, die im Auftrag von Alexandre Benalla handelten; diese Videos, die einen Tag später im Elysee-Palast landeten, wo viele Mitarbeiter sie einsehen konnten.

Die Hypothese des « Gladio B »

Wir haben auf diesen Seiten bereits geschrieben, dass die Mission von Herrn Benalla war, eine französische Kopie des US Secret Service zu erstellen, unter Einbeziehung sowohl der Schutz-Funktion des Präsidenten als auch der Bekämpfung des Terrorismus [2]; eine jetzt weithin von unseren Kollegen aufgegriffene Nachricht, aber ohne uns zu zitieren.

Der Innen-Minister, der erklärt hat, er wüsste nichts von dem Fall, ist überzeugt, dass die Neugestaltung der Elysee-Sicherheitsdienste nicht darauf abziele, die traditionellen Hierarchien zu umgehen. Man hofft, dass er sich zu diesem Thema nicht auch hat täuschen lassen.

Aber erinnern wir uns, dass während des Kalten Krieges, die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich in den alliierten Staaten einen Dienst zur Bekämpfung des sowjetischen Einflusses geschaffen hatten, und zwar ohne dass die nationalen Institutionen davon informiert wurden. Dieses System ist den Historikern unter dem Namen stay behind bekannt und der Öffentlichkeit unter jenem des italienischen Ablegers, Gladio [der Schild]. Weltweit wurde es gemeinsam durch die CIA und MI6 betrieben, über die World Anti-Communist League (WACL) [3], außer in Europa, wo es der NATO unterstellt war. [4]

Die wichtigsten operativen Manager dieses stay-behind-Netzwerkes (d. h. im Falle einer sowjetischen Invasion fähig zu sein, unterzutauchen) waren ehemalige Beamte der Nazi-Unterdrückung. Wenn die Franzosen auch wissen, dass der SS-Hauptmann und Chef der Gestapo in Lyon, Klaus Barbie, dadurch Chef des stay—behind Netzwerkes in Bolivien gegen Che Guevara wurde, ignorieren sie z. B., dass der Polizei-Präfekt von Paris, der Kollaborateur Maurice Papon, der Hunderte Algerier am 17. Oktober 1961 massakriert hatte, ein Führer des Netzwerks in Frankreich gegen die FLN war [5]. Hier in Damaskus, wo ich wohne, erinnert man sich an einen anderen SS-Offizier und Leiter des Lagers Drancy, Alois Brunner, der von der CIA und dem MI6 als Berater für die syrischen Geheimdienste eingestellt wurde, um zu verhindern, dass das Land in das sowjetische Lager kippt. Er wurde von Präsident Bachar Al-Assad sofort verhaftet, als er an die Macht kam.

In Frankreich, als der Stay-Behind sich gegen Frankreich wandte, indem er es beschuldigte Algerien den Sowjets zu überlassen, organisierte und finanzierte er den Staatsstreich von 1961 und die OAS (Organisation der geheimen Armee); Präsident De Gaulle übernahm einige ihrer Agenten um eine Miliz gegen die Miliz zu schaffen: den SAC (Service d’Action Civique) [6].

Trotz des Anscheins sind es nicht einfach alte Geschichten: Die politische Welt hat immer noch Persönlichkeiten, die dem stay-behind Netzwerk angehörten; zum Beispiel war der derzeitige Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Junker, Chef des Gladio Luxemburg [7].

Der erste Generalsekretär von "En Marche!", Ludovic Chaker, sei ein Agent der DGSE. Zufällig hatte er für den Kandidaten Macron einen Freund von Jawad Bendaoud, dem „Vermieter von Daesch", als Leibwächter angestellt. Derzeit leitet dieser die Mission im Elysée-Palast, wo er die Anti-Terror-Task-Force von Präfekt Bousquet de Florian verdoppelt.

Im 21. Jahrhundert wird natürlich nicht mehr gefoltert und ermordet wie einst, man begnügt sich Unerwünschte per Presse zu diskreditieren. Vor allem gibt es keine Sowjetunion mehr, und daher auch kein Stay-Behind-Netzwerk. Aber das zur Verfügung stehende Personal und jenes das erneuert wurde, muss nützlich eingesetzt werden. Eine Menge Artikel bezeugen, dass diese Agenten zunächst den Dschihad gegen die Sowjets in Afghanistan und dann heute gegen Russland [8] geführt haben, sodass sie unter dem Namen Gladio B [9] durch das FBI bekannt wurden.

Die Wirksamkeit dieses Netzes im "Erweiterten Nahen Osten" in den letzten 17 Jahren braucht nicht mehr bewiesen zu werden.

Besonders der Kampf gegen den Terrorismus - oder seine Manipulation - in die Vereinigten Staaten, hing vom Secret Service ab, wovon das Elysee nun ein Replikat vorbereitete. Seltsamerweise ist die anti-terroristische Task force des Elysees, unter der Leitung des Präfekten Pierre Bousquet de Florian, bereits durch eine "Zelle" verdoppelt, die einem Stellvertreter des Stabschefs des Präsidenten, Admiral Bernard Rogel, anvertraut wurde. Laut L’Opinion, ist dieser Projektmanager, Ludovic Chaker - der Benalla anstellen ließ - ein "ehemaliger" Agent der Generaldirektion für äußere Sicherheit (DGSE) [10]

Wir vergleichen nicht Alexandre Benalla mit Maurice Papon, aber wir befragen uns über die Möglichkeit, dass er so etwas wie ein Element der illegalen Repression ist, die sich in Europa (wieder)aufbaut.

Wer hat den Fall Benalla aufgedeckt?

Es ist vollkommen klar, dass bei fehlender Klage der geprügelten Opfer von Herrn Benalla und angesichts der Schwierigkeiten, ihn auf den Videos seiner Ausschreitungen zu erkennen, dieser Fall nicht spontan publik werden konnte.

Der ehemalige Berater von Donald Trump, Steve Bannon, kam gerade nach Brüssel mit der Mission, " Emmanuel Macron und Angela Merkel wie in einer Kegel-Partie umzuwerfen".

Die Leute, die den Fall zum Platzen gebracht haben, mussten sehr gut informiert sein, nicht nur über Alexandre Benalla, sondern auch über die Missstände im Elysée-Palast. Aber ihr offizieller Status zwang sie zur Diskretion. Man denkt sofort an Beamte der DGSI (Innere Sicherheit) oder an den Geheimdienst für die Sicherheit der Verteidigung (DRSD).

Es ist nicht unmöglich, dass Polizisten Alexandre Benalla die Polizeiattribute gegeben haben, die er am 1. Mai missbraucht hatte. Dann wäre er also in eine Falle [11] geraten.

Wir sind nicht mehr in der gleichen Situation wie während des Kalten Krieges und des Algerien-Krieges. Dieser Fall hat auch nichts mit dem SAC (siehe oben) zu tun: Präsident Macron versuchte nicht, das Land vor einer Miliz zu schützen, indem auch er gegen das Gesetz verstieß. Wir sind stattdessen in einer konfrontativen Situation, zwischen einerseits der Allianz Russland-Vereinigte Staaten und andererseits dem angelsächsischen deep state, die sich gegen Präsident Trump entfesselt.

Übersetzung
Horst Frohlich
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser

[1In Zeiten des Zusammenlebens [„cohabitation“] zwischen einem Präsidenten und einem Premierminister die gegnerischen Parteien angehören, wird die Sicherheit des Präsidenten ausschließlich durch Gendarmen bestellt, um nicht den Premierminister zu informieren, was der Präsident tut.

[2Die Mission von Alexandre Benalla“, Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 26. Juli 2018.

[3« La Ligue anti-communiste mondiale, une internationale du crime », par Thierry Meyssan, Réseau Voltaire, 12 mai 2004.

[4Secret Warfare : Operation Gladio and NATO’s Stay-Behind Armies, Daniele Ganser, Routledge 2005. Deutsch : Nato-Geheimarmeen in Europa: Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung. Orell Fuessli, 2009. Was mich betrifft habe ich diesen Artikel vor zwanzig Jahren geschrieben: « SStay-behind : les réseaux d’ingérence américains », Réseau Voltaire, 20 août 2001.

[5« La guerre secrète en France », par Daniele Ganser, Réseau Voltaire, 18 avril 2011.

[6« Quand le stay-behind portait De Gaulle au pouvoir », « Quand le stay-behind voulait remplacer De Gaulle », par Thierry Meyssan, Réseau Voltaire, 27 août et 10 septembre 2001.

[7Gladio-Luxembourg: Juncker zum Abtritt gezwungen“, Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 16. Juli 2013.

[8Lire la seconde partie de Sous nos yeux. Du 11-septembre à Donald Trump, Thierry Meyssan, Demi-Lune 2017.

[9Siehe die vielen Bücher und Dokumentationen von Sibel Edmonds.

[11Siehe die Erklärung und das Schreiben von Alain Gibelin an die Kommission der französischen Nationalversammlung, und man vergleiche sie mit den Erklärungen von Alexandre Benalla in Le Monde am 27 Juli.