In einer offiziellen Zeremonie, der Präsident Omar al-Baschir (rechts) in Gesellschaft mit General Ahmed Awad Ibn Auf (links), der ihn gestürzt hat.

Die Gleichzeitigkeit der Ereignisse in Algerien, Libyen und Sudan erinnert an jene des Jahres 2011 in Tunesien, Libyen und Ägypten. Für manche wäre es eine revolutionäre Bewegung gegen Diktaturen, für andere eine Neuauflage des von den Briten organisierten großen arabischen Aufstandes von 1916.

Was das Jahr 2011 betrifft, lassen die Veröffentlichung der internen e-mails des Foreign Office durch den Wistleblower Derek Pasquill keinen Zweifel an der Rolle und der Koordination der Bruderschaft in all diesen Ländern und schließlich an den folgenden Ereignisse zu: Es handelte sich tatsächlich um eine von den Briten 7 Jahre lang vorbereitete und mit Hilfe der Vereinigten Staaten abgeschlossene Bewegung, um nationalistische säkulare Regime durch religiöse pro-westliche Regime zu ersetzen.

Aber wie steht es in 2019? Es wäre anmaßend, diese Frage beantworten zu wollen, da diese Ereignisse doch gerade erst beginnen, weil wir nicht viel von den neuen Spielern wissen, noch die ausländischen Absichten und Fähigkeiten kennen. Zumindest können wir vermeiden, durch die Wiederholung der Parolen der westlichen Mitteilung uns selbst zu täuschen.

Wir haben oft über die Situationen von Algerien und Libyen gesprochen. Wir werden hier diejenigen des Sudan untersuchen und die Besonderheit dieses Landes aufzeigen.

Der sudanesische Präsident Omar al-Bashir ist am 11. April 2019 gestürzt worden, während massive Proteste im Land stattfanden. Er hatte die Macht vor 30 Jahren durch einen Militärputsch ergriffen, und wurde durch einen weiteren Militärputsch verjagt. Während seiner Herrschaft hat das Land weder Frieden, noch glaubwürdige Wahlen erlebt.

Sudan hat eine besondere Rolle auf der internationalen Bühne gespielt, jene eines großen Bösewichts, während er mehr oder weniger heimlich bevorzugte Beziehungen mit dem Westen unterhielt, welcher nie aufgehört hat, den Sudan heimlich zu unterstützen. In diesem Zusammenhang verbindet die Presse, die vorgab die Realität dieses Doppelspiel zu ignorieren, den Sturz von Omar al-Baschir mit einer Revolution, als Reaktion auf Verbrechen, die ihm zugeschrieben werden. Das ist aber absolut falsch.

Erstens reichen die Wurzeln des Krieges, der den Sudan heimgesucht hat und ihn noch immer heimsucht, bis in die Zeit vor den ersten Weltkrieg. Eine vom Islam inspirierte Sekte erhob sich gegen die ägyptich-britische Kolonisation. Sie betrachtete ihren Führer, den "Mahdi", als ihren Messias, kämpfte gegen die christlich-muslimischen, englisch-ägyptischen Truppen, um zu versuchen, eine Lebensart aufzuzwingen, die der Sklaverei und der körperlichen Züchtigung einen grossen Platz einräumte und die Gräber der Heiligen und die Moscheen der "Ungläubigen" Muslime zerstörte. In diesem so besonderen Zusammenhang versuchten die Briten nicht, das Land zum Christentum zu bekehren, wie sie es anderswo machten, sondern versuchten mit Hilfe des Großmufti von Ägypten und der Universität al-Azar eine mit der Kolonisation vereinbare Form des Islam zu erfinden.

Vierzig Jahre später, noch vor der Unabhängigkeit des Landes (1956), begann der Krieg erneut. Nach einem relativen Waffenstillstand von 1972 bis 1983 begann er wieder. Omar el-Baschir kam erst im Jahr 1989 an die Macht. Er hat daher keine Verantwortung für diesen Krieg, dessen Protagonist er nur später wurde. Während eines Jahrhunderts besteht also in diesem riesigen Land ein Krieg zwischen der Bevölkerung - die sowohl versucht den Sudan von den Kolonisatoren zu befreien, als auch seine Lebensweise zu verhängen – und den Animisten, Christen und traditionellen Muslimen, die sich ihr widersetzen.

Die zwei Anklagen gegen Omar al-Baschir durch den internationalen Strafgerichtshof (IStGH), zuerst wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen (2009), und dann wegen Völkermord (2010), basieren auf einer Interpretation der Ereignisse, die den Kontext ignorieren und die Verantwortung grundsätzlich auf das Staatsoberhaupt abwälzen. Sie stützen sich auf die aus der Luft gegriffene Untersuchung des korrupten und der Vergewaltigung überführten Staatsanwaltes, Luis Moreno Ocampo. Sie wurden übrigens von der arabischen Liga, sowie der Afrikanischen Union zurückgewiesen.

Der Fallschirmspringer Omar al-Baschir stützte sich lange Zeit auf die Aura des Intellektuellen Hassan el-Turabi. Die beiden Männer waren Mitglieder der Muslim-Bruderschaft und haben versucht, den Sudan der Ideologie von Hassan el-Banna und Sayyed Qutb anzupassen. El-Turabi versuchte 1999 al-Bashir auszuspielen, aber ohne Erfolg. Letzterem gelang es im Jahr 2004 / 05 ihn einzusperren. Letztlich begnadigte er el-Turabi, der dann im Jahr 2016 friedlich verstarb.

Diese Situation ist umso verwirrender, als die Muslimbrüder von Ägyptern gegen die sudanesische Madhisten geschaffen wurden, im Zusammenhang mit der Allianz zwischen dem Großmufti von Ägypten und den Briten; und die von Ägyptern nach dem zweiten Weltkrieg aufgelöst wurden und schließlich von den Briten wieder neu geschaffen wurden.

Wie alle Muslimbrüder haben al-Baschir und al-Turabi je nach ihren Gesprächspartnern verschiedene Ansichten vertreten, die sie wiederum als aufrichtig oder heuchlerisch oder als Faschisten oder Kommunisten kennzeichneten. Darüber hinaus gerieten sie in Widerspruch mit dem Rest der Bruderschaft, als sie den Konflikt der Madhisten gegen die Ägypter wieder anfachten. Sie nahmen daher die gleiche Mehrdeutigkeit nicht nur gegenüber der breiten Öffentlichkeit, sondern auch anderen muslimischen Brüder gegenüber an.

30 Jahre lang hat Omar al-Baschir gekonnt gespielt, um sich an der Macht zu halten, ohne sich jemals darum zu kümmern, den Geist seines Volkes aufzuwecken.

Er hat die sudanesische Auslegung der Scharia als das im Großteil des Landes gültige Strafrecht restauriert. Die Exzision der Klitoris der Mädchen ist die Norm - angeblich im Namen des Islam -. Die Homosexualität wird mit Todesstrafe unterdrückt. Die Prügelstrafe und die Todesstrafe durch Steinigung oder Kreuzigung gelten noch immer, auch wenn sie in den letzten Jahren eher selten sind.

Es ist üblich, allein Omar al-Bashir für das Massaker der Bevölkerung von Darfur verantwortlich zu machen. Man vergisst aber, dass seine Baggara- ("Dschandschaweed") Milizen durch eine private US-Militärfirma, DynCorp International, betreut wurden, die vom Pentagon beauftragt wurde, die Kriminalität in diesem ölreichen Gebiet aufrecht zu halten, um die Ausbeutung durch China zu verhindern.

Auf internationaler Ebene bietet der Sudan dem Westen eine neutrale Zone gegenüber den regionalen ideologischen Konflikten. So hat er diejenigen beherbergt und betreut, die sich "anti-amerikanisch" nannten, ob es nun echt war wie bei dem anti-imperialistischen Ilich Ramírez Sánchez ("Carlos") oder falsch war, wie bei dem Handlanger der NATO, Osama Bin Laden. Aber der Sudan lieferte Carlos an die Franzosen aus und beschützte Bin Laden.

Sudan engagierte sich in ausländischen Militär-Operationen, gegen Uganda, die Demokratische Republik Kongo und Zentralafrika, indem er eine blutrünstige Sekte, die Befreiungsarmee des Herrn unterstützte.

In der letzten Zeit erhielt der Sudan von Katar eine Milliarde Dollar, um den Leiter der Mission der arabischen Liga in Syrien abzuziehen, der die Propaganda einer "Revolution" gegen Präsident Al - Assad dementiert hatte. Er schickte ab 2015 Truppen - darunter viele Minderjährige von 14 bis 17 Jahren - in den Jemen, um unter saudi-israelischem Kommando die schiitischen Houthis zu bekämpfen. Im Jahr 2017 vermietete er für 99 Jahre die Insel Suakin an die Türkei, um das Rote Meer gegenüber Saudi-Arabien, Ägypten und Israel zu kontrollieren. Im Jahr 2018 ist Omar al-Baschir zu einem offiziellen Besuch nach Damaskus gekommen, um jemand ‘Unbekannten’ zu vertreten. Usw..... Keine Logik in diesen Handlungen, aber eine sehr kontrollierte Taktik, die aus dem Sudan ein besonderes Land macht, das aus Jedem zugleich einen Freund und einen Feind macht.

Wie auch immer, der derzeitige Aufstand hat nichts mit einem demokratischen Anspruch zu tun, sondern nur mit dem Anstieg der Preise, der das Land seit der Unabhängigkeit des Südsudan (2011) und dem Verlust der Ölfelder erschüttert. Der darauf folgende wirtschaftliche Zusammenbruch war besonders grausam für die Ärmsten. Ein vom Internationalen Währungsfonds entwickelter Plan wurde im Jahr 2018 umgesetzt. Er verursachte in wenigen Monaten eine Inflation von 70 % und im Dezember eine brutale Verdreifachung des Brotpreises, worauf die Bevölkerung mit Demonstrationen reagierte. Sie führten zu dem Militärputsch, der Omar al-Bashir hinwegfegte. Sein Nachfolger, General Ahmed Awad Ibn Auf, trat am nächsten Tag zugunsten des Generals Abdel Fattah Abdelrahman al-Burhan zurück. Er dürfte einer Zwei-Jahres-Übergangsregierung vorsitzen, bevor er die Macht einer zivilen Regierung übergeben wird. In der Zwischenzeit wurde die Verfassung aufgehoben.

Da unklar ist, was aus Omar al-Baschir geworden ist und ob seine Nachfolger der Muslimbruderschaft angehören oder nicht, ist es unmöglich zu erklären, was vorgeht.

Heute ist die Situation instabil geworden, aber nichts hat sich geändert, weder kulturell noch politisch. Sudan ist nach wie vor eine "islamische" Gesellschaft, die von einer Militärdiktatur regiert wird.

Diese Ereignisse sind eine Reaktion auf die Angst vor der Hungersnot, die Darfur in den 1980er Jahren erlebt hat; eine Hungersnot nicht durch Mangel an Nahrung, sondern durch die Unfähigkeit der Armen, sich Nahrung zu verschaffen. Diese Ereignisse haben nichts mit dem zu tun, was sich in Algerien abspielt, in einem Land mit gebildeten Leuten, dessen Regierung aber durch ein Kartell von drei Banden privatisiert wurde. Diese Ereignisse haben auch nichts mit dem zu tun, was Libyen betrifft, wo die Zerstörung des Staates durch die NATO und die Ermordung von Muammar Gaddafi eine Vereinbarung zwischen den Stämmen unmöglich machte, Voraussetzung für eine demokratische Lösung.

Sudan ist unter saudische Kontrolle geraten“, Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 20. April 2019.

Übersetzung
Horst Frohlich
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser