Am 16. August 1860 kommt ein französisches Expeditionskorps nach Beirut. Gemäß Napoleon III. sollte das französische Militär "Ordnung wiederherstellen" in Syrien, damals osmanischen Provinz. Heute als "die erste Manifestation des Rechts der Intervention für humanitäre Gründe" bezeichnet, diente diese militärische Intervention in der Tat, den wirtschaftlichen Einfluss Frankreichs in der Region anzuheben.

Eine humanitäre Intervention in Syrien wird regelmäßig erwähnt, um das Leiden der in Kämpfen seit 2011 zwischen dem Regime und der bewaffneten Opposition ergriffenen Bevölkerung zu beenden. Kämpfe, deren Hauptverantwortung - zu Recht oder zu Unrecht - der Regierungspartei zugeordnet wird.

Diese Hilfsmaßnahme würde daher den Sturz des lokalen Regimes beinhalten. Sie sollte sogar seit mehreren Monaten in indirekter Form begonnen haben, mit Waffen der Aufständischen, sowie mit vor Ort geschickten Agenten und Gruppen von ausländischen Kämpfern. Nun ist Gewaltanwendung auf dem Territorium eines fremden Landes, ohne Zustimmung der zuständigen Behörden, gegen den Grundsatz der Souveränität der Staaten, der in der Charta der Vereinten Nationen verankert ist. Die Anwendung von Gewalt zwischen Staaten ist verboten, außer im Falle von Notwehr oder einer kollektiven, durch den UN-Sicherheitsrat beschlossenen Maßnahme.

Der Internationale Gerichtshof verurteilte 1986 die militärische Unterstützung durch die Reagan-Administration der Aufständischen nicaraguanischen Contras, die kämpften, um die Sandinisten zu stürzen. Das Gericht hatte sogar diese Unterstützung als nicht angemessen erklärt, um die Achtung der Menschenrechte sicherzustellen, obwohl Washington das Regime beschuldigte, Gräueltaten begangen zu haben.

Diese rechtlichen Hindernisse haben nicht verhindert, dass sich eine einseitige Ausübung von Operationen entwickelt, die offiziell von altruistischen Gründen motiviert wären, wie zum Beispiel die Bombardierung des ehemaligen Jugoslawiens während der Kosovo-Krise 1999 und die Invasion des Irak im Jahr 2003. Das jüngste Beispiel dafür war die Aktion in Libyen im Jahr 2011, von der einige Staaten bekräftigten, dass sie über die Resolution 1973 des Sicherheitsrates hinausgegangen sei.

Am 17. November 2012 empfängt der französische Präsident François Hollande im Elysee-Palast den Chef der weniger als eine Woche zuvor in Doha fabrizierten „nationalen Koalition der oppositionellen Kräfte und der Revolution“. Trotz ihres langen Namens, erweist sich die neue Schöpfung des Westens und der Golf-Monarchien nicht in der Lage, die Opposition zu vereinheitlichen, aber ihre Existenz ist schon benutzt worden, um die Freigabe von 1,2 Millionen Euro für „humanitäre Soforthilfe“ zu rechtfertigen. Und die alten Haudegen machen beim Spiel auch mit.

Die Grundlage für diese einseitigen Eingriffe liegt an einem Standard eines höheren, universellen Typs: die Pflicht, das Leben jedes Menschen vor weit verbreiteten, sie gefährdenden Bedrohungen zu schützen. Aber dieses Prinzip, das als solches völlig legitim ist, hängt ganz von den guten Willen des Redners ab. Wie kann man aber sicher sein, dass er die immense Kraft nicht für sich benutzt und mit Gewalt gegen einen anderen Staat andere Gründe verfolgt, die anstößig wären? Die Geschichte wimmelt von "gerechten" Kriegen, die für die betroffenen Bevölkerungen wirklich schlecht endeten. Der große Jurist aus Neuchâtel, Emer de Vattel, verurteilte 1758 die Unterwerfung der amerikanischen Indianer durch die Konquistadoren, unter dem Vorwand, sie von den Tyrannen zu befreien.

Spezialisten dieser Frage suchten ständig nach dem Präzedenzfall, der eine, von einer eingreifenden Macht perfekt gemachte Aktion zeigen würde. Sie haben lange geglaubt, sie in der Expedition von 1860 gefunden zu haben, die die osmanische Provinz Syrien betraf, welche auch den gegenwärtigen Libanon einschloss [1]. Zwischen Mai und August dieses Jahres wurden 17 000 bis 23 000 Menschen, meistens christlichen Glaubens, in den Bergen des Libanon und Damaskus in interkommunalen Auseinandersetzungen massakriert. Bei der Ankunft in Europa erweckt diese Nachricht in der öffentlichen Meinung große Erregung. Die osmanischen Behörden werden beschuldigt, nichts dagegen gemacht zu haben, oder sogar an den Misshandlungen durch drusische Milizen im Mount Libanon und den Randalierern in Damaskus teilgenommen zu haben.

Napoleon III. beschloss, ein Expeditionskorps von 6.000 Mann an Ort und Stelle zu schicken um mit Zustimmung der anderen europäischen Mächte dem "Blutbad" ein Ende zu setzen. Die französischen Truppen bleiben weniger als ein Jahr vor Ort. Sie zogen sich nach Ruheeintritt zurück und dank der Gründung einer administrativen Reorganisation, wäre die zivile Eintracht bis zum ersten Weltkrieg beibehalten worden. Einige Juristen, die unter die am meisten gegen die Anerkennung des Rechts auf humanitäre Intervention gezählt werden, räumen auch heute noch ein, dass die 1860-Aktion, möglicherweise die einzige "echte" humanitäre Intervention des 19. Jahrhunderts sei.

Bei genauerer Einsicht jedoch, wurden die interkommunalen Kämpfe von 1860 durch die, von den europäischen Mächten bei den lokalen Minderheiten zurzeit praktizierten Vetternwirtschaft, verstärkt. Es muss gesagt werden, dass immense Interessen auf dem Spiel waren. Es ging um die gemeinsame Nutzung der Provinzen eines zerfallenden osmanischen Reiches, über welches die Großmächte Europas heftig streiten. Syrien befindet sich auf dem strategischen Landweg, der nach Indien führt, das Juwel des britischen Empire. Frankreich wird sein Interesse für dieses Land voller Handelsversprechen nicht leugnen. Russland hat lange versucht, sein Gebiet im Süden zu erweitern. Um seine Ziele zu erreichen, benützt jeder seine lokale Gemeinschaft, die er manipuliert: die Franzosen sind die Beschützer der katholischen Christen, die Russen verteidigen die Orthodoxen, und die Briten die Drusen.

In der Zeit, nach der Intervention von 1860 erhöht Frankreich seinen wirtschaftlichen Einfluss auf den Libanon, bis zu dem Punkt, wo 50 % der libanesischen Bevölkerung in 1914 für die französische Industrie der Seidenherstellung arbeitet. Dieser Sektor bricht zusammen, als Folge der Entscheidung Frankreichs, auf seine libanesischen Lieferanten zu verzichten. Diese verlieren ihre Mittel für den Lebensunterhalt.

Ein Jahr später, 1915, organisieren die Verbündeten Briten und Franzosen die Blockade der syrischen Küste und verhindern, dass die Lebensmittel ihren, für Korn sehr importabhängigen Bestimmungsort dieser Region erreichen. Das Ziel ist, die arabischen Provinzen gegen die Zentralregierung von Istanbul aufzuwiegeln, das im ersten Weltkrieg an Seiten Deutschlands von Wilhelm II. teilnimmt. Das Ergebnis ist eine noch nie dagewesene Hungersnot, die im Zentrum und Norden des Libanon 200.000 Tote verursacht und 300.000 an anderen Stellen in Syrien.

1840 hatte François Guizot, Botschafter Frankreichs in London, bereits die geopolitischen Berechnungen zusammengefasst, die auf den europäischen Höfen vorherrschten, und die in seinen Augen die Politik des britischen Minister für auswärtige Angelegenheiten Lord Palmerston anregten: „Es gibt da, am Boden irgend eines Tales, an der Spitze irgend eines Berges im Libanon, Ehemänner, Frauen, Kinder, die sich lieben und miteinander spielen, die morgen ermordet werden, weil Lord Palmerston, auf der Eisenbahn von London nach Southampton, sich ausdrücken wird: „Es ist notwendig, dass Syrien sich aufwiegle, ich brauche den Aufstand von Syrien, wenn Syrien das nicht tut, I ’m a fool."“

Quelle
Le Temps (Suisse)

Source: Le Temps du 6 novembre 2012.

[1Nach Wikipedia auf französisch : « Dans les faits, et selon le mot de Napoléon III lui-même, l’expédition fut une “opération à but humanitaire” ». InWirklichkeit, und nach Napoleons III. selbst, war die Operation eine mit humanitärem Ziel.