Frankreich und die Golfmonarchien lassen nicht ab, Baschar Al-Assad als blutigen Tyrann darzustellen und ihm die Schuld für die 60.000, vom Hochkommissariat für Menschenrechte anerkannten Opfer zuzuschreiben. Präsident Al-Assad hat eine Ansprache am 6. Januar 2012 an die Nation gegeben, indem er diese Rhetorik umkehrte. Er hat sich als Führer eines Landes behauptet, das von außen angegriffen wird und hat eine Grabrede der 60 000 Märtyrer gehalten. Als Symbol für diese Behauptung war eine aus Gesichtern der Opfer bestehende syrische Flagge in seinem Rücken während seiner Rede zu sehen.
Diese Ansprache sollte konkrete Angaben für die Modalitäten der Umsetzung des Friedensplans liefern, der zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml im Rahmen einer Teilung des Nahen Ostens ausgehandelt wurde. Wenn auch die Genfer Erklärung vom 30 Juni und die vielen darauffolgenden Kontakte die gesamte Architektur definieren, müssen noch viele Details ausgehandelt werden.
Die Idee einer Übergangsregierung unter der Leitung von Baschar Al-Assad und unter Einschluss von Oppositionsführern wurde von allen Parteien mit Ausnahme Frankreichs und der Golf-Monarchien akzeptiert. Paris, Riyad und Doha interpretieren weiterhin den "Übergang" als eine Passage von einem Syrien unter Vorsitz von Baschar Al-Assad, zu einem Syrien ohne ihn. Im Gegenteil, Washington, Moskau und Damaskus interpretieren den "Übergang" als einen Prozess der Befriedung und Versöhnung.
Das Genfer Abkommen regelt das Prinzip einer Regierung der nationalen Einheit während der Übergangszeit. Aber die aktuelle Verfassung, die eines präsidentschaftlichen Staates, erlaubt es nicht. Die Minister sind vom Präsidenten jederzeit widerruflich, wie die Minister in den USA. Daher erfordert die Schaffung einer Regierung der nationalen Einheit eine Verfassungsreform, die Garantien für die Opposition gibt.
In seiner Rede hat Baschar Al-Assad seine Opposition aufgefordert, eine "nationale Charta" auszuarbeiten, die vorübergehend die Verfassung ändere, um die Ziele und die Arbeitsweise der Regierung während der Übergangszeit festzulegen. Den Europäern und dem Sondergesandten der Generalsekretäre der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, Lakhdar Brahimi, den Wind aus den Segeln nehmend, gab er bekannt, dass dieser Text einem Referendum unterzogen werde. Mit anderen Worten, das syrische Volk bleibt souverän. Es gibt keine Vereinbarungen zwischen Großmächten, wie sie Herr Brahimi in Taif am Ende des libanesischen Bürgerkrieges ausgeheckt hatte, wodurch das Land der Zedern unter ausländischen Vormund gestellt wurde, der auch heute noch andauert.
Eine zweite Frage betrifft die Identifizierung der Opposition. Die Vereinigten Staaten haben eine nationale Koalition aufgebaut, die syrische Persönlichkeiten vom Ausland einschließt und die für viele Staaten als repräsentativ für das syrische Volk gilt. Diese Nationale Koalition hat jedoch keinen Rückhalt in dem Land und wurde offiziell von der freien syrischen Armee [FSA] abgewiesen.
Aus der Sicht von Damaskus und Moskau wird die Nationale Koalition aus dem Ausland finanziert und hat den Westen aufgefordert, Syrien zu bombardieren. Sie könnte daher nie an einer Regierung der nationalen Einheit teilnehmen. Schlimmer noch, aus der Sicht von Washington, hat die Koalition einen unverzeihlichen Fehler gemacht: sie verurteilte die Aufnahme der Al-Nusra-Front (Zweig der Al-Qaida in der Levante) auf der US-Liste der Terrororganisationen. Folglich hat sie sich auf Seiten der Terroristen gestellt und hat sich damit diskreditiert.
Daher sagte Präsident Al-Assad, dass die Nationale Einheitsregierung alle politische Parteien einschließen würde, die das Land während dieses Krieges gegen die Aggression verteidigt haben.
Es ist natürlich hier, wo die Worte von Präsident Al-Assad mit der Rhetorik des US-State Department nicht kompatibel sind. Für Damaskus wird die Nation von ausländischen, selbsternannten "Dschihad" Truppen angegriffen. Wogegen für Washington das Land in einen "Bürgerkrieg" verwickelt ist, in dem sich ausländische Kämpfer einmischen.
Diese Ansichten kommen jedoch einander allmählich näher. Durch die Eingabe der Front al-Nusra auf ihre Liste der terroristischen Organisationen hat Washington die freie syrische Armee [FSA] de facto politisch aufgegeben. Auch wenn einige der US-Politiker die FSA von Al-Qaida unterscheiden, sagen stattdessen große Denkfabriken (think tanks) – worunter der Council on foreign Relations (CFR) – dass die Al-Nusra-Front den Hauptbestandteil der FSA bilde und sie die einzige sei, die operative Bedeutung habe. Daher ist es inzwischen in den Vereinigten Staaten Gang und Gebe zu sagen, dass die "Revolution Geisel geworden ist", oder dass sie "von den Dschihadisten umgeleitet wurde“. Washington kann sich dadurch leicht der Position von Damaskus begnügen. Die Rhetorik der Menschen-Rechte, die verlangte, Al-Assad zu entheben, fordert heute Unterstützung, um den Terrorismus weiterhin zu bekämpfen.
All dies ist natürlich nur eine große Heuchelei. Der neue Energie-Deal macht, dass die Vereinigten Staaten nicht mehr Hand auf das syrische Gas legen müssen; das dreifache Veto von Russland und China verhinderte die Zerstörung des Landes durch die NATO; und die syrische arabische Armee hat die Destabilisierungsstrategie von General David Petraeus in Schach gehalten. Washington sucht einen ehrenwerten Ausgang aus diesem gescheiterten Krieg. Baschar Al-Assad hat es mit seinen Bedingungen zur Kenntnis genommen.
Durch Anrufen des syrischen Volkes um per Referendum abzustimmen, schlug Präsident Al-Assad drei Fliegen mit einer Klappe: Er bekräftigt die durch den Westen und die Golf-Monarchien abgesprochene Souveränität seines Volkes, bestätigt implizit, dass er der einzige Führer mit Legitimität durch die Wahlurne ist, und treibt die Tagesordnung an. Bewusst, dass es nicht an Ländern fehlen wird, um die Gerechtigkeit solcher Wahlen zu bestreiten, will Baschar Al-Assad ihre Schuldzuweisungen benützen, um die Bereitstellung der Kräfte der Vereinten Nationen zu beschleunigen, um die Volksabstimmung zu überwachen und so schnell wie möglich die Gewalt zu beenden. Der Präsident enthielt sich, einen Zeitplan für die nationale Charta und das Referendum festzulegen, in der Hoffnung, dass der UN-Sicherheitsrat ihm einen solchen im Gewaltmarsch offerieren werde.
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