In einem offenen, von der New York Times des 12. September veröffentlichten Forum, stellt der russische Präsident Wladimir Putin seine Sicht der neuen internationalen Beziehungen über die syrische Krise dar [1].

• Vor allem unterstreicht er sein Engagement für die Vereinten Nationen und seinen Willen, die USA wieder hineinzubringen, die sich seit der Aggression der NATO gegen Jugoslawien im Jahr 1999 ihnen entzogen haben. Er stellt fest, dass die aus der Gruppe der fünf Mächte mit Veto-Recht gebildeten Weltregierung die Stabilität des Systems garantiert, mit dem Preis von einer frei akzeptierten Machtbegrenzung. Das internationale Völkerrecht basiert auf dieser Akzeptanz.

• Dann beschreibt er den Krieg in Syrien als einen Krieg zwischen der Regierung und einer religiös definierten und um ausländische Kämpfer herum organisierte Opposition, die sich auf Al-Qaida berufen. In diesem Punkt besteht er auf der Tatsache, dass der Krieg in Syrien nicht Demokratie zum Ziel habe und dass diese das Ziel keines der beiden Lager sei.

• Was den chemischen Angriff vom 21. August betrifft, erklärte er seine Überzeugung, dass er unter falscher Flagge von der bewaffneten Opposition unternommen wurde, um eine internationale Krise und Intervention gegen die Regierung auszulösen. Er fügt hinzu, Informationen zu besitzen, wonach diese selbe Opposition eine ähnliche Aktion gegen Israel vorbereite. Diese Darstellung der Ereignisse ist seither durch die Aussage eines durch die syrische arabische Armee gefangenen Dschihadisten bestätigt worden. Er gestand auf TV-Al-Ikbariya, dreizehn Raketen von einer türkischen Armee-Basis nach Damaskus übergesetzt zu haben, während nur zwei oder drei von diesen 13 Raketen benutzt wurden [2]. Es bleiben daher noch etwa zehn.

• Wladimir Putin geht weiter mit der Feststellung, dass der systematische Gebrauch von Gewalt durch die Vereinigten Staaten eine allgemeine Atmosphäre der Unsicherheit schaffe. Da sie nicht mehr auf das Recht zählen können um sich zu schützen, erwägen immer mehr Staaten, sich mit atomaren Waffen auszustatten, was am Ende immer mehr Unsicherheit entwickelt, in einer Art eines Teufelskreises. Ebenso erhöht die Unterstützung der ausländischen Dschihadisten in Syrien durch den Westen die Unsicherheit, nicht nur in dieser Region der Welt, sondern auch im Westen, weil diese Terroristen schließlich zurück in ihre Heimat gehen werden und zum Kampf gegen ihre eigene Gesellschaft antreten. In beiden Fällen wird die Strategie der USA, die auf den ersten Blick als schlau erscheinen mag, nicht verfehlen, sich gegen sie selbst zu wenden.

• Schließlich endet er mit einem frontalen Angriff gegen die Ideologie seines amerikanischen Kollegen. Er prangert den "amerikanischen Exzeptionalismus" an, wonach diese große Nation von einer anderen Art als die anderer Länder wäre, und mehr als alle andere dazu berufen sei, um Gerechtigkeit herrschen zu lassen. Diese Vorherrschaft, die dem Anspruch auf alleinige Supermacht entspreche, die den Sicherheitsrat und das Völkerrecht überschreite, sei an sich eine Konfliktquelle, die kein Mensch akzeptieren könne.

Durch dieses offene Forum enthüllt Wladimir Putin den Sinn seiner Politik: Washington erkennen zu lassen, dass es nicht, oder nicht länger der Herrscher der Welt sei, und es wieder auf das Niveau eines der fünf Großmächte des Sicherheitsrates bringen wolle, und die Regeln des Völkerrechts zu respektieren. Die syrische Krise scheint zu zeigen, dass er erfolgreich war, da die Vereinigten Staaten, zumindest vorübergehend, auf einen Angriff auf Syrien unter Missachtung des Völkerrechts verzichtet haben. Russland hätte daher die Gleichgewichts-Funktion übernommen, die die Sowjetunion einst innehatte. Die US-Vorherrschaft über die ganze Welt wäre nach einem Zeitraum von 18 Jahren, von ihrer Aufrüstung (1995) bis hin zu ihrer Niederlage in Syrien (2013) zu Ende gegangen.

Darüber hinaus bemüht sich der russische Präsident Washington zu helfen, durch eine neue Definition sich von dem syrischen Problem zu befreien: die syrische Regierung liefert keinen Krieg gegen die Demokratie, sondern um die durch den Fanatismus der Al-Qaida und Konsorten bedrohte Gewissens-Freiheit zu verteidigen. Daher wirken die Interessen der Mitglieder des Sicherheitsrates zusammen, um den syrischen Staat in seinem Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu unterstützen.

Der Ball ist jetzt in amerikanischen Händen. Präsident Barack Obama reagierte nicht auf dieses offene Forum trotz der Aufforderungen der russischen Presse. Dies lässt vermuten, dass er die Richtigkeit der Sicht von Wladimir Putin anerkennt, selbst wenn er sie nicht unbedingt akzeptiert. Wie auch immer, indem er die amerikanische und internationale Öffentlichkeit als Zeugen nimmt, hat der russische Präsident Washingtons Falken-Politik entkräftet und fördert den Frieden.

Übersetzung
Horst Frohlich

[1A Plea for Caution From Russia” von Wladimir Putin, auf Englisch im New York Times/Voltaire Network, 12 september 2013.

[2Die chemischen Raketen von Ghuta kamen aus der türkischen Armee“, Voltaire Netzwerk, 16. September 2013.