Mehdi Nemmouche

von Thierry Meyssan

Die Neuausrichtung der amerikanischen Militärstrategie macht ratlos. Am 28. Mai hat Präsident Obama das militärische Aufeinandertreffen mit dem Russland und China hinausgeschoben und die Methode des Terroristenkampfes zum Hauptfeind erklärt [1]. Diese Rhetorik bringt die USA zum 11. September zurück, als George W. Bush den "Krieg ohne Ende" gegen den "Terrorismus" erklärte und er in einen neuen „Kreuzzug“ zog, in seinen eigenen Worten.

Vor ein paar Tagen, am 24. Mai, starben drei Menschen im jüdischen Museum in Brüssel. Das Attentat wurde von der europäischen Presse als eine antisemitische Tat bezeichnet.

Am 30. Mai hat der französische Zoll, anlässlich einer angeblichen Routine-Kontrolle am Busbahnhof von Marseille einen jungen Mann angehalten, der im Besitz von Waffen war, die angeblich in Brüssel gedient haben. Der Verdächtige, Mehdi Nemmouche, ist ein Straffälliger, der schon mehrfach inhaftiert wurde. Er hätte gegen die Arabische Republik Syrien ein Jahr lang gekämpft, innerhalb des islamischen Emirat im Irak und der Levante (EIIL oder «Daesh»), ein besonders grausamer, abtrünniger Ableger der Al-Kaida. Er wurde gemäß dem Anti-Terror-Gesetz vier Tage in Haft gehalten, weigerte sich aber, Fragen der Ermittler zu beantworten.

Die europäische Presse nähert seinen Fall dem von Mohammed Merah, einem anderen jungen Täter, ebenfalls algerischer Herkunft und der auch wie er im Gefängnis islamisiert wurde und Dschihadist in Afghanistan war, der im März 2012 die antisemitischen Attentate von Toulouse und Montauban verübt haben soll. Herr Merah wurde durch ein Polizei-Kommando das ihn verhaften sollte niedergeschossen, ohne Bekenntnisse abgelegt zu haben und ohne verurteilt worden zu sein. Man entdeckte später, dass er für die französischen inneren Geheimdienste gearbeitet hatte, ohne klarmachen zu können, ob diese an seinen Verbrechen beteiligt waren oder nicht.

Man hätte denken können, dass die Änderung der US-Politik nicht zum Anti-Islam-Geschwafel von George W. Bush zurückführen würde. Aber sofort, nachdem die Verhaftung von Mehdi Nemmouche bekannt wurde, wurden die Mainstream-Medien-Foren mit islamfeindlichen Beiträgen überschwemmt. Die Internet-Nutzer beschrieben die islamische Religion selbst als Träger des Terrorismus und des Antisemitismus. Es genügte, diesen Verdächtigten als einen "islamistischen Terroristen" darzustellen, damit die alten angelernten Verhaltensweisen wieder belebt wurden, besonders bei den Anhängern des „Front National“. Aus dieser Sicht kommt diese Nachricht gerade zum geeigneten Augenblick, um die aktuelle amerikanische Militärstrategie von Barack Obama zu rechtfertigen.

Schein trügt

In Wirklichkeit war das Brüssel-Attentat weder antisemitisch noch terroristisch. Die zwei wichtigen Opfer waren israelische Geheimdienstler und ihr Mord wurde kaltblütig von einem Profi ausgeführt [2].

Die Festnahme von Mehdi Nemmouche hätte sich offenbar während einer Routinekontrolle ereignet [3], nachdem sich eine der Taschen des Verdächtigen versehentlich geöffnet habe und das Magazin eines Sturmgewehrs hätte sehen lassen. Das ist möglich, aber unwahrscheinlich. Der Verdächtigte machte keinen Gebrauch von der Pistole, die er in seiner Jacke trug und leistete keinen Widerstand bei seiner Festnahme. Er transportierte eine Kalaschnikow, eine Pistole, eine Brust-Kamera und eine Schildmütze, identisch mit jenen des Mörders von Brüssel. Darüber hinaus hätte die Polizei in seinem Gepäck auch ein Leintuch mit der der Marke des islamischen Emirats im Irak und der Levante gefunden, das keinen Grund hatte, sich dort zu befinden, das ihn aber eindeutig als "Terroristen" bezeichnete.

In Untersuchungshaft seit vier Tagen gemäß dem Anti-Terror-Ausnahmerecht, hat er auf die Fragen der Ermittler nicht geantwortet, indem er sein "Recht auf Schweigen" geltend machte. Laut seinem Anwalt hätte er sich begnügt, einen Diebstahl von Waffen in einem Auto in Brüssel zuzugeben, nicht aber an der Ermordung im jüdischen Museum beteiligt gewesen zu sein und weigerte sich, an Belgien ausgeliefert zu werden.

Zusammenfassung: auf der einen Hand, Mord von israelischen Spionen in Brüssel, auf der anderen, die "zufällige" Verhaftung von einem gut ausgebildeten Dschihadisten, der der Polizei nicht antwortet, aber der nicht in der Lage ist, rechtzeitig die Beweise für sein Verbrechen zu vernichten. Dieser letzte Widerspruch ist so groß, dass er unbedingt Fragen aufwirft.

Das Gespenst des Dschihadismus in Europa

Bis zur Nemmouche-Affäre und unter Vorbehalt, dass er der Schütze von Brüssel ist, kennt man keinen aus Syrien zurückgekommenen Dschihadisten, der Verbrechen in Europa begangen habe. Am 5. Juni trafen sich jedoch die Innenminister der Europäischen Union, um dieses Thema zu besprechen. Ihre Polizeien haben 3.000 Europäer gezählt, die angeblich in Syrien in den letzten 3 Jahren gegen die Republik gekämpft haben. Das sind viele, aber wahrscheinlich weit unter der Realität: Die Syrische Arabische Armee behauptet, mindestens 12.000 von ihnen bekämpft zu haben.

Die Gefahr, dass sie in Europa ähnliche Verbrechen ausüben, die sie in Syrien begangen haben, ist real, aber es ist nicht das, was der Nemmouche-Fall zeigt. Dieser junge Mann ist nach Syrien gegangen, um einen Dschihad zu einem Zeitpunkt zu praktizieren, als der französische Inlandsgeheimdienst die Auswanderung ermutigte und erleichterte. Vor Ort, trat er dem islamischen Emirat vom Irak und der Levante bei, unter dem Kommando von Abu Bakr el-Baghdadi, im Auftrag vom Saudi-Prinzen Abdul Rahman al-Faisal (Bruder des Saudi-Ministers für auswärtige Angelegenheiten und des Saudi-Botschafters in Washington) [4]. Mehdi Nemmouche, intelligenter als der Durchschnitt, fiel seinen Lehrern auf und wurde in einen Geheimdienst eingeschleust. Da das EIIL von Offizieren der Vereinigten Staaten, Frankreich und Saudi-Arabien geführt wird, wurde Herr Nemmouche Agent für einen von ihnen. Wenn er zwei israelische "Kollegen" in Brüssel ermordet hat, geht es also auf das Konto eines dieser drei Staaten.

Die Saudi Presse betonte, dass eines der israelischen Opfer an der Ermordung des militärischen Chefs der Hisbollah, Imad Moughniyeh, im Jahr 2008 in Damaskus beteiligt gewesen wäre, was also auf eine Rache-Operation des libanesischen Widerstands hindeutet. Diese Spur ist absurd, weil die EIIL eine wahhabitische Gruppe ist, die die Hisbollah bekämpft und systematisch Schiiten abschlachtet. Darüber hinaus, wenn die Hisbollah sich rächen hätte wollen, hätte sie die Sponsoren und nicht die Handlanger getötet.

Darüber hinaus ist Ermordung zwischen Diensten üblich, entweder als Vergeltung, durch den Tod eines Agenten auf gleichem Zuständigkeits-Niveau, oder um eine laufende Operation einzustellen. Keine öffentliche Information kann im Augenblick erklären, wer diese Ziele gewählt hat und warum.

Die Ermordung im jüdischen Museum zeigt eine noch ernstere Gefahr als einfachen Terrorismus: die Einbeziehung von patentierten Verbrechern in den atlantischen Geheimdienst, obwohl Geheimdienste per definitionem jenseits aller Gesetzen sind. Wenn dieses Phänomen zunehmen sollte, wird es eine Zunahme der Staatsgewalt in Europa geben, die natürlich immer den "Terroristen" zugeschrieben werden wird.

Die neue militärische Strategie von Barack Obama könnte gut die alte "Strategie der Spannung" sein.

Übersetzung
Horst Frohlich
Quelle
Al-Watan (Syrien)

[1Rede von Barack Obama vor der Militärakademie West Point“, von Barack Obama, Voltaire Netzwerk, 28. Mai 2014.

[2« Experts split on Jewish Museum killer: lone wolf or hitman? », par Robert-Jan Bartunek, Reuters, 26 mai 2014.

[4« L’ÉIIL est commandé par le prince Abdul Rahman », Réseau Voltaire, 3 février 2014. (Auch auf Englisch)