Wie es nicht erst einmal in unserer Geschichte war: Die Schlüssel für Europa und damit die Schlüssel für die Beendigung des globalen Konflikts befinden sich in Berlin und Paris - schreibt Rostislav Ishchenko.
In alten Zeiten, die man heute üblicherweise „die verrückten neunziger Jahre“ nennt, versuchte das Team Jelzins, einige Integrationsprozesse Russlands mit dem Westen (EU und NATO) durchzuführen. Unter verschiedenen Vorwänden sagte man damals Moskau ab. Indessen erklärten die westlichen Diplomaten inoffiziell, ohne ein Geheimnis daraus zu machen, dass „Russland für die westlichen Strukturen zu groß sei“. Washington und Brüssel befürchteten, dass Russland als Mitglied der EU und der NATO, deren Entscheidungen formell auf Konsensbasis getroffen werden, manche Initiativen blockieren können und generell die Vorherschaft der USA in Frage stellen werde.
Aus meiner Sicht war diese Befürchtung haltlos. Leute, die sie verbreiteten, waren dumm und die Nachfolgen der Absage an Russland, es in westliche Strukturen zu integrieren, erwiesen sich für den Westen als verhängnisvoll.
Gut, dass sie absagten
In Wirklichkeit ist der Aufnahmeprozess zu den Fahnenträgern der EU und der NATO mit sehr vielen Bedingungen verbunden. Die Erfüllung von so vielen beliebig definierten Kriterien und die Einführung von Hunderten bereits geltenden Vorschriften und Regularien erfordert, dass Moskau gleich nach dem Beginn der Verhandlungen ernsthafte Kosten im Außen-, Innen- und Wirtschaftspolitik getragen sowie eigene Staatssicherheit untergraben hätte.
Die Einführung der entsprechenden Standards wäre ein Schlag für die Wirtschaft allgemein, vor allem für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, gewesen, so dass der Besitz von Atomwaffen (falls sie noch von uns kontrolliert worden wären) das Land nicht mehr hätte davor bewahren können, eine Halbkolonie zu sein, deren Lage mit der Bulgariens, Rumäniens oder baltischer Länder zu vergleichen wäre.
Dabei hätte die Stimme Russlands in der NATO oder der EU das gleiche Gewicht, wie beispielsweise die Estlands und die der Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die als der Ostsee-Schwarzmeer-Streifen fungieren (und die im Interesse der USA die deutsch-russische Kommunikation blockieren), hätten über deutige Stimmenmehrheit im Vergleich zu Moskau verfügt. Nebenbei bemerkt, man hätte auch das dritte Energiepaket (Pflicht eines EU-Mitglieds) einführen und viele anderen Dummheiten zusammen mit den westlichen „Freunden und Partnern“ machen müssen, wodurch man sich kompromittiert und mit eigenen Händen potentielle Verbündete vernichtet hätte. Im Grunde genommen gäbe es jetzt weder die Eurasiatische Union, noch die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ). Russland wäre einer von zahlreichen gleichberechtigten, eigener Rechte beraubten europäischen US-Vasallen.
Uns lief das Glück nach, da der Westen diese Möglichkeit nicht aufgriff und ohne Gegenleistung darauf verzichtete (und Russland war damals bereit, noch dafür zu zahlen), was er in den letzten 15 Jahren ohne Rücksicht auf Verluste und alle seine Kräfte mobilisierend verlangt hat. Dies ist bereits „Materialmüdigkeit“ geworden.
Neue europäische Länder - die Hauptlast der EU
Während die Vereinigten Staaten immer noch die Illusion vom möglichen Sieg haben, versteht die EU seit mindestens zwei Jahren, dass sie kein Jäger mehr, sondern eine Beute ist.
Es hat sich erwiesen, dass die Last für die EU nicht Russland ist, das angeblich „die europäische und transatlantische Einheit hätte in Frage stellen können“, sondern das „neue“ Europa - die Nachfolgestaaten der Sowjetunion; die Staaten, die man seit 2004 feierlich in den Eurosojuz aufnimmt.
Entlang der östlichen Grenzen Deutschlands, Österreichs und Italiens verläuft die „Wasserscheide“ Europas, die Europa in ein „Altes“ und ein „Neues“ teilt. Das „Alte“ ist immer noch bereit, jedoch nicht ganz unproblematisch, ihre Freunde in Namen der Verteidigung eigener Interessen zu wechseln. Das „Neue“ sitzt im ideologischen, politischen US-Militärlager fest und labert etwas über besondere „demokratische“ Werte, obwohl diese Werte in den meisten dieser Länder nicht zu finden sind.
Die Politiker dieser „neuen” Länder, wie z. B. die Präsidenten Tschechens Václav Klaus und Miloš Zeman, der ehemalige Ministerpräsident der Slowakei Vladimír Mečiar oder der Ministerpräsident Ungarns Viktor Orbán treffen sich, aber sie machen keine entsprechende Politik. Die „euroatlantischen“ Kräfte werden von den USA unterstützt und sich zwar langsam, aber entschieden mit ihrer Mission durchsetzen, Bestandteile des „cordon sanitaire“ zwischen Russland und dem „alten“ Europa zu werden.
Im Grunde genommen kann diese Herangehensweise der Neueuropäer nicht verwundern. Weder im Moment des EU-Beitritts noch heute haben diese Länder die Mindestanforderungen der EU erfüllt (vielleicht mit der Ausnahme Tschechens). Sie sind ein Bestandteil des fehlerhaften Schemas der inneneuropäischen Kolonialsierung geworden, in Rahmen deren das „alte“ Europa das „neue“ von [der Notwendigkeit des Besitzes] einer eigenen Wirtschaft befreite - mit Ausnahme der Dienstleistungen und des Tourismus, und [gleichzeitig] übernahm es die „neuen“ Absatzmärkte. Die Kaufkraft der „neuen“ Bevölkerung war durch Kredite des „alten“ Europas und des IWF gesichert. Im Endergebnis nahmen Neueuropäer das Geld vom „alten“ Europa, um die Waren von ihm zu kaufen und bei ihm verschuldet zu sein.
In einem solchen System konnte das „neue“ Europa, wenn auch lediglich scheinbar, mit politischer Gleichberechtigung mit dem „Alten“ nur mit US-Unterstützung rechnen. Deshalb sind die Neueuropäer überwiegend proamerikanischer als das Außenministerium der Vereinigten Staaten, der Kongress und die CIA zusammen genommen.
Welcher Teil Europas ist näher an Russland
Es ist logisch, dass sich Russland mit einem solchen „neuen“ Europa nicht gut verträgt. Diese Länder leben von Almosen (die in der politisch korrekten Sprache Kredite genannt werden), sie haben also keine eigenen Wirtschaftsinteressen. Die Reste werden ihnen garantiert, solange sie brav den Weg der US-Außenpolitik folgen. Infolgedessen ist ihre politische Unabhängigkeit nicht möglich.
Die Situation mit dem „alten“ Europa ist komplexer. Lange Zeit war es mit der US-Vorherschaft zufrieden. Der nicht beschwerliche Verzicht auf eigene Außenpolitik war durch den militärisch-politischen US-Schirm abgesichert. Dabei haben die USA wie ein Tiger mit den Schakalen mit den Europäern die Beute regulär geteilt; sie überließen dem „alten“ Europa sogar Osteuropa für die koloniale Versklavung - ausschließlich gegen Anerkennung der militärisch-politischen US-Vorherschaft.
Beginnend mit der Krise von 2008 (in Wirklichkeit wesentlich früher) ist jedoch offenkundig geworden, dass die USA immer schwächer wurden, so dass sie ganz einfach nicht mehr fähig waren, selbstständig die lästigen Kosten der globalen Vorherrschaft zu tragen.
Anfangs versuchten die USA Europa zu einer bedeutenden Erhöhung des Militäretats zu zwingen (und trafen auf Widerstand ausgerechnet vonseiten der „alten“ Europäer). Danach versuchten die USA, die Last der Militäranwesenheit in einzelnen Gebieten des Planeten auf die EU zu übertragen. Es hat sich jedoch schnell erwiesen, dass die europäischen Armeen unter der Voraussetzung entstanden sind, lediglich die US-Armee zu unterstützen; selbstständig können sie keine Aktion durchführen (nicht mal Beistand dem Besatzungsregime in Afghanistan leisten).
Letztendlich haben sich die USA in der Konfrontation mit Russland, China und einer Reihe von kleineren Gegnern überanstrengt. Es ist klar geworden, dass sie [mit den Gegnern] Schritt nicht halten können werden, ohne das „alte“ Europa auszubeuten, was nach dem gleichen Schema verläuft, mit dem das „alte“ Europa das „Neue“ bisher plünderte.
In anderen Zeiten wäre die EU zum russischen militärisch-politischen Lager übergangen, und so wäre die Geschichte des US-Hegemonismus beendet. Zu Beginn der neunziger Jahre jedoch hatten die USA drei zuverlässige Hebel zum Blockieren der europäischen Selbstständigkeit. Erstens: gehorsame osteuropäische Satelliten. Zweitens: auf Washington orientierte EU-Bürokratie in Brüssel, derer Tätigkeit objektiv im Widerspruch zu nationalen Interessen der EU-Mitglieder steht, die aber die USA vollauf zufrieden stellt. Drittens: eine in den letzten 25 Jahren großgewordene und herangereifte Schicht nationaler europäischer Politiker, die im Geiste der transatlantischen Solidarität erzogen wurden, die diskussionslos das Konzept der US-Vorherrschaft annehmen und die zusätzlich auf einem Haufen kompromittierender Belastungsmaterialien sitzen.
Infolgedessen scheiterten alle Versuche Russlands, an die europäischen Eliten mit Angeboten heranzukommen, die im Einklang mit den strategischen Interessen sowohl Russlands als auch der EU standen. Europa kam Russland so weit entgegen, bis die USA an der Leine zogen.
In letzten Jahren jedoch, vor allem nach dem Beginn der Ukraine- und Syrien-Krise, wurde die Autorität der USA einige Male ernsthaft angefochten. Die Konzeption ihrer monopolistischen Vorherrschaft wurde durch Russland infrage gestellt, indem es die Krim gegen Hysterie Washingtons mit ruhig festem Schritt wiedergewann und im Nahen Osten mit ruhigem Blut das macht, was es für richtig hält.
Das Andauern der Ukraine- und Syrienkrise (also die Niederlage des westlichen Blitzkriegs) beraubte Europa der Beute, mit der es die eigenen Kosten decken wollte und stellte es an den Rande einer Katastrophe (ruinierende Sanktionen gegen Russland und russische Gegensanktionen, Probleme mit ukrainischen Transportwegen für Energierohstoffe, eine mit Terroristen gesättigte Flüchtlingsströmung aus Nahost). Obendrauf plant Washington, Europa den Zugang zu den russischen und nahöstlichen Energierohstoffen zu entziehen und es zum Kauf des Gases und Rohöls zu überhöhten Preisen aus den USA zu zwingen.
Die Paris-Berlin-Moskau-Achse
Im Allgemeinen steht die EU vor einer traurigen Wahl: Entweder sterben oder mit Russland ein Bündnis eingehen. Das „neue“ Europa (bis auf das immer noch kämpfende Ungarn) hat, wie erwartet, den Tod unter amerikanischer Schirmherrschaft gewählt. Das „Alte“ war bereit, dem „Neuen“ zu folgen. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass eine sich verbreitende Bewegung der Volksmassen dem Konsens proamerikanischer Eliten Widerstand leistet.
In Frankreich, Deutschland, Griechenland und Italien genießen immer mehr Aktivisten Ansehen, die ihre antiamerikanische Einstellung demonstrieren und die Orientierung auf Russland als Alternative zu „euroatlantischer“ Solidarität vorschlagen.
Im Endeffekt teilt sich die EU in drei Teile: französisch-deutscher Kern, an dem Italien und Griechenland hängen, zu dem es Ungarn zieht und den Spanien beobachtet. Dieser Teil ist bereit, mit Russland zusammenzuarbeiten, sieht jedoch im Moment keine Möglichkeit, ohne die Zerstörung der EU die Politik zu ändern.
Die osteuropäische Peripherie in Grenzgebieten sowie Skandinavien und die Beneluxländer sind auf die USA orientiert und bereit, für dieses Bündnis zu sterben, um bloß die „euroatlantische Solidarität“ nicht zu verraten.
Es gibt noch Großbritannien und Dänemark, die anscheinend alle Hoffnung aufgegeben haben, dass sich die EU noch retten lässt, egal welche Konzeption sich durchsetzen sollte, und bereiten sich sehr diskret auf das Verlassen der auseinander fallenden Struktur vor.
Wie wir hier sehen können, sind nur der französisch-deutsche Kern und die an ihm hängenden Länder für die zukunftsorientierte Politik Russlands gegenüber Europa interessant.
Hierzu muss man anmerken, dass der Erhalt der europäischen Einheit nicht mehr möglich ist. Soll sie wie durch ein Wunder erhalten bleiben, dann nur unter amerikanischer Schirmherrschaft und in der Anlehnung auf russophobische Spielregeln. Gleichzeitig löst das Schaffen einer Paris-Berlin-Moskau-Achse (mit der Beteiligung jener EU-Länder, die bereit sind, so eine Allianz zu schließen) automatisch das Problem der Grenzgebiete. Es gibt niemanden anderen, der Osteuropa finanzieren wird (USA haben nie geplant, die ehrenvolle Mission zu betreiben) und das bedeutet, dass es automatisch (entweder freiwillig oder gezwungen) unter den Einfluss des sich neu gebildeten Blocks gerät.
Demzufolge, wie es bereits nicht nur einmal in unserer Geschichte der Fall war, befinden sich die Schlüssel zu Europa und mit ihnen die Schlüssel zur Konfliktlösung in Berlin und in Paris. Der Unterschied liegt darin, dass wir sie einst mit Assistenz der Feldarmee abholten, und jetzt müssen wir sie mit politischen und diplomatischen Methoden gewinnen.
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