Von einem France 2 Journalisten über die damalige Unterstützung der Dschihadisten in Syrien durch die Türkei und Frankreich befragt, hat der türkische Präsident ihn beschuldigt, wie ein Gülen-Terrorist zu sprechen, während der französische Präsident sich weigerte, die Politik seiner Vorgänger zu kommentieren.

Der französische Präsident, Emmanuel Macron, hat am 5. Januar 2018 seinen türkischen Kollegen, Recep Tayyip Erdoğan, empfangen.

Aus der Sicht von Ankara sollte dieses Treffen der Türkei gestatten, ihre Beziehungen zur Europäischen Union zu stärken und zugleich vermeiden, Deutschland, den traditionellen Partner der Türkei, mit dem die Beziehungen angespannt sind, einzubeziehen.

Ankara wollte sich vor allem mit Paris über seine zukünftigen Projekte verständigen. Das Vereinigte Königreich hat zwischenzeitlich die Verwaltung des Apparates der Dschihadisten, die nun von Katar finanziert werden, der Türkei anvertraut. Präsident Erdoğan läßt sich von zwei außenpolitischen Zielen leiten:
 Zuerst die Unterstützung der kemalistischen Nationalisten gewinnen, durch die Verwirklichung des nationalen Eides des osmanischen Parlaments; es ist der Grund, warum die türkische Armee Nordzypern, den nördlichen Teil des Irak und den Norden von Syrien illegal besetzt [1].
 Und dann die Kriege durch zwischengeschaltete Dschihadisten weiterhin verfolgen, indem das Zentrum des Kampfes von Syrien zum Horn von Afrika und der arabischen Halbinsel verschoben wird; das ist der Grund, warum er in den letzten sechs Monaten diskret 1500 Soldaten nach Somalia und 35000 nach Katar verlegt hat. Er verlegt weitere in den Sudan und ist dabei, das gleiche auch in Dschibuti zu tun.

Aus Sicht von Paris handelte es sich darum, die durch die Herren Juppé und Davutoğlu im Jahr 2011 heimlich getroffenen , gegenseitigen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Londoner Vereinbarung wieder zu aktivieren, um einen neuen Staat im nördlichen Syrien zu schaffen, in welchen dann die Türkei ihre eigenen Kurden vertreiben könnte [2]. Dieses Abkommen war durch Präsident Hollande nach der Schlacht von Ain al-Arab (bekannt als "Kobané" in der Terminologie der NATO) einseitig gebrochen worden, was eine starke türkische Reaktion verursachte: die von Daesch am 13. November 2015 verübten Attentate [3]. Es widerspricht auch nicht unbedingt den aktuellen Optionen des Vereinigten Königreiches und jenen der Türkei.

Da er die Abneigung des Parlaments für ein solches Abenteuer kennt, hat Präsident Macron beschlossen, vollendete Tatsachen zu schaffen und im Voraus eine zweite Front zu öffnen.

Die Rückkehr der Dschihadisten

In einem Interview mit Jean-Jacques Bourdin, auf RMC und BFM TV, am 4. Januar 2018, hat der Staatssekretär und Sprecher der Regierung, Benjamin Griveaux, gesagt, dass die in Syrien durch die internationale Koalition gegen Daesh (d.h. von den Truppen unter dem Kommando des Pentagon) gefangenen Dschihadisten, im nördlichen Syrien vor Gericht gestellt werden könnten, wenn die Justizeinrichtungen in der Lage wären, ein faires Verfahren zu gewährleisten", in dem "die Rechte der Verteidigung gewahrt wären".

Benjamin Griveaux ist ein ehemaliger Mitarbeiter von Dominique Strauss-Kahn. Emmanuel Macron sehr nahestehend, beteiligte er sich an seiner ganzen Wahlkampagne. Seine Frau, eine Rechtsanwältin, schrieb den gerichtlichen Teil des Programms des Kandidaten Macron.

Kurz danach interviewte der gleiche Jean-Jacques Bourdin Khaled Issa, Vertreter von "Rojava" in Paris. Er bestätigte, dass seine "Regierung" bereit sei, französische Staatsbürger vor Gericht zu stellen. Beiläufig ließ er eine Bemerkung fallen, dass die Entscheidung, die Dschihadisten von Frankreich und anderer Staaten an Ort und Stelle vor Gericht zu stellen oder sie "auszuliefern", letztlich unabhängig von ihrer Nationalität, von der internationalen Koalition getroffen werde.

Am nächsten Tag, am 5. Januar, interviewte noch immer unser Jean-Jacques Bourdin, die Justiz-Ministerin, Nicole Belloubet. Sie sagte: "Es gibt dort keinen Staat, den wir anerkennen, aber es gibt lokale Behörden (!), und man kann davon ausgehen, dass sie Gerichts-Operationen durchführen können".

Während dieser drei Interviews hat Jean-Jacques Bourdin nie, absolut nie, seine Gäste gefragt, ob die in "Rojava" getätigten Rechtssprüche von der französischen Justiz (Non Bis in idem) anerkannt würden. Ansonsten müssten die Angeklagten neu vor Gericht gestellt werden und ein zweites Mal für die gleichen Handlungen verurteilt werden, wenn sie nach Frankreich zurückkämen.

Als er die Justiz-Ministerin interviewte, befragte Jean-Jacques Bourdin sie über ein anderes Thema. Er überraschte sie mit dem Hinweis auf Punkte, auf die die Kanzlei bis dahin noch nicht reagiert hatte. Er erklärte aber nicht, wie er zu diesen vertraulichen Informationen Zugang bekommen hatte.

Jean-Jacques Bourdin ist der Ehemann von Anne Nivat, Kriegsberichterstatterin, heftig anti-russisch eingestellt und notorisch der Direktion des ausländischen Nachrichtendienstes (DGSE) nahestehend. BFM TV gehört der Gruppe von Patrick Drahi und Bruno Ledoux. Letzterer hat der Vertretung der "Rojava" freundlicherweise Räumlichkeiten in Paris zur Verfügung gestellt.

Benjamin Griveaux und Nicole Belloubet haben sorgfältig vermieden, bei den Fragen des Journalisten die Worte "Kurdisch", "Kurdistan" und "Rojava” zu benutzen. Sie haben nur die "Behörden" (!) im Norden von Syrien erwähnt.

Zu einem eindeutigen Gesetzesverstoß

Wenn die Entscheidung, die Franzosen durch "Rojava" verurteilen zu lassen, fallen sollte, würde sie folgende Rechte verletzen:

 den französisch-syrischen Vertrag, der die Gerichtszuständigkeit der syrischen arabischen Republik auf syrischem Gebiet als einzig legitime anerkennt.

 Die Europäische Konvention zum Schutz der Grundfreiheiten und Menschenrechte.
• Ihr Artikel 6 besagt, dass man für eine faire Justiz ein an das Gesetz gebundenes Gericht benötige, dessen Entscheidungen vollstreckbar seien. Da "Rojava" keine Gefängnisse besitzt, können nur Freistellung oder Todesstrafe (die in den Ländern des Europarats nicht existiert) ausgesprochen werden. Natürlich kann "Rojava" nichts davon abhalten, andere Urteile zu fällen, und die Angeklagten diskret auf anderen Schauplätzen als Kämpfer zum Einsatz zu bringen.
•. Ihr Artikel 7 legt den Grundsatz fest, wonach keine Strafe ohne Gesetz (Nullum Crimen, Nulla Poena Sine Lege) ausgesprochen werden kann. Nun gibt es aber kein kurdisches Strafgesetzbuch.

 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, die in der Präambel der französischen Verfassung steht, sieht mit ihrem Artikel 7 vor, dass diejenigen bestraft werden müssen, die willkürliche Anordnungen erbitten, ausfertigen, ausführen oder ausführen lassen.

 Die französische Verfassung:
• Artikel 55 schreibt vor, dass die durch die jeweiligen Partner unterzeichneten bilateralen Verträge für Frankreich immer gelten, was auch bei den französisch-syrischen Verträgen zutrifft.
• Artikel 68 ist die strafrechtliche Verantwortung der Mitglieder der Regierung und des Präsidenten der Republik, für jegliche "Verletzung von Pflichten, die offensichtlich mit der Ausübung seines Mandats unvereinbar sind”.

Beweise hinterziehen

Bevor die französische Regierung einen Weg einschlug, von dem sie wusste, dass er zutiefst gesetzwidrig ist, hatte sie die Medien benutzt, um die Phobie vor der "Rückkehr der Dschihadisten" zu schaffen. In keinem anderen Land, das durch das gleiche Ereignis betroffen ist, haben Debatten zu diesem Thema begonnen. Nichts unterscheidet diese Angeklagten von anderen Mördern, welche von ordentlichen Gerichten verurteilt werden und die ihre Strafen normal absitzen.

Da die öffentliche Meinung geblendet wurde, versucht die Regierung nun ihre eigene Verantwortung und die ihrer Vorgänger zu verbergen. Manche Angeklagten würden nicht umhin können, in öffentlichen Anhörungen ihre Verbindungen mit der DGSE und die Rolle des Verteidigung-Ministeriums in diesem Krieg zu erwähnen.

Die Macron-Philippe Regierung folgt somit den Wegen ihrer Vorgänger [4]. Man erinnert sich zum Beispiel, wie es der Sarkozy-Fillon Regierung gelungen ist, die Zeugenaussagen von französischen Soldaten verschwinden zu lassen, welche von Syrien als Teil des Friedensabkommens mit dem islamischen Emirat von Baba Amr freigestellt worden waren. Kein französisches Medium hat diese Nachricht aufgegriffen, trotz der Artikel der arabischen Medien im März 2012 über die Rückgabe dieser Gefangenen an Admiral Édouard Guillaud an der syrisch-libanesischen Grenze.

Zur automatischen Anerkennung der "Rojava”

Der Grundsatz der Rechtskraft der juristischen Entscheidungen wird zwangsläufig zur Anerkennung von "Rojava" als souveräner und unabhängiger Staat führen.

Der französische Hochkommissar der Kolonisierung von Syrien (Mandat des Völkerbundes) rekrutiert mit Hilfe der Türken 900 Männer des kurdischen Stammes Millis, um den nationalistischen arabischen Aufstand in Raqqa und Aleppo zu unterdrücken. Diese Söldner kämpfen als französische Gendarmen unter der Flagge (Telegramm des 5. Januar 1921), die jene der aktuellen Freien Syrischen Armee werden wird.
Quelle: Archiv der französischen Armee.

Historisch gesehen sind die Kurden ein nomadisches Volk, wie die „Zigeuner“ in Europa, aber in einer Krieger-Version. Sie wanderten im Euphrat-Tal und konnten manchmal auch den Norden des aktuellen Syrien durchqueren [5]. Am Ende des Osmanischen Reiches wurden einige von ihnen eingestellt, um insbesondere an der Vernichtung der Christen im Allgemeinen und speziell der Armenier teilzunehmen [6]. Als Belohnung für ihre Verbrechen erhielten sie die Besitzungen der Armenier, die sie getötet hatten und wurden dann sesshaft. Während der französischen Kolonialisierung wurden die Kurden des Millis-Stammes rekrutiert, um den arabischen Nationalismus in Raqqa und Aleppo auszurotten, und verließen dann Syrien, als es unabhängig wurde.

"Rojava" entstand auf arabischem Gebiet, auf dem die Kurden kontinuierlich erst seit der Unterdrückung während des türkischen Bürgerkriegs in den 1980-iger Jahren anwesend sind, deren kollektive Opfer sie wurden. Die dort lebende muslimische und christliche Bevölkerung wurde während des Krieges gegen Syrien vertrieben und wird als Bürger dorthin nicht zurückkehren können.

"Rojava" wurde der PYD anvertraut, einer ehemals marxistisch-leninistischen pro-sowjetischen Partei, die plötzlich pro-US-anarchistisch wurde [7]. Trotz aller Behauptungen ihrer Kommunikatoren bewahrt sie eine stark strukturierte Hierarchie, eine totalitäre Verehrung des Gründers, und eine eiserne Disziplin. Nur die hohen Positionen wurden paritätisch, mit einem Mann und einer Frau besetzt. Diese neue Organisation gilt auch für den Generalstab, während Frauen in der Rojava-Miliz selten sind; jedenfalls seltener als in den gemischten Armeen der Region, Tsahal (IDF) und in der syrisch-arabischen Armee.

Neun Monate vor der Offensive von Daesch im Irak und in Syrien wurde diese Karte von Robin Wright veröffentlicht, welche die Grenzen von "Rojava" und des "Kalifats" zeigt. Nach Angaben der Forscherin des Pentagon korrigiert sie jene, von Ralf Peters in 2005 zum Umbau des Erweiterten Nahen Osten veröffentlichte Karte.

Im Jahr 2013 hatte das Pentagon geplant, den französisch-türkischen Plan im Rahmen der Umgestaltung des Erweiterten Nahen Ostens zu unterstützen, und somit gleichzeitig die Schaffung eines "Sunnistan" beiderseits der Grenze von Irak und Syrien (Robin Wright-Plan) zu organisieren. Jedoch ließ das Pentagon die beiden Projekte fallen, als Präsident Trump beschloss, Daesch zu vernichten, da er die Kurdenfrage nur mehr als Vorwand für die Präsenz der GI‘s in Syrien betrachtete. Es wäre daher auch an der Zeit, die Vereinigten Staaten zum ursprünglichen Plan zurückzubringen.

Darüber hinaus und im Hinblick auf den Misserfolg des letzten Jahres bei der Schaffung eines anderen kurdischen Staates durch Israel , diesmal im Norden von Irak [8], müssen Paris und Ankara mit der Opposition vom Iran, Irak, und Syrien und in viel allgemeinerer Form, von fast der ganzen arabischen Welt rechnen.

Ankara, das im Jahr 2011 die Schaffung eines kurdischen Pseudostaates im Norden von Syrien noch aktiv befürwortete, ist jetzt dagegen, wenn die neue Einheit von den USA unterstützt wird (die dreimal versucht haben, Präsident Erdoğan zu ermorden und die eine kurdische Partei finanziert haben, damit er die Mehrheit im Parlament verliert). Bei seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Präsident Macron hat Recep Tayyip Erdoğan seine rote Linie erklärt: der PKK - die Frankreich auch als "terroristische Organisation" betrachtet - jegliche Möglichkeit nehmen, einen Korridor zu erstellen, der ihr erlaubt, Waffen aus dem Mittelmeerraum nach Süd-Ost-Anatolien zu importieren. Daher beschränkt sich die Frage auf die Zusicherung, dass die Auseinandersetzungen zwischen der PKK und "Rojava" zum endgültigen Bruch führen wird und der neue Staat keinen Zugriff zum Mittelmeer besitzt, so wie es in dem ursprünglichen Plan vorgesehen war.

Übersetzung
Horst Frohlich
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser

[1Die militärische Strategie der neuen Türkei“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 12. Oktober 2017.

[2Das Projekt eines Pseudo-Kurdistans, das man nicht nennen kann“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 8. Dezember 2015.

[3Der Beweggrund der Attentate von Paris und Brüssel“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Sabine, Voltaire Netzwerk, 28. März 2016.

[4Ausbildung französischer Soldaten in der Führung von Daesch“, Übersetzung Sabine, Voltaire Netzwerk, 26. Oktober 2016.

[5Über die Kurden, die drei Artikel lesen: „Die Kurden: Washingtons Massen-Destabilisierungs-Waffe in Mittel-Ost“, von Sarah Abed, Übersetzung Ralf Hesse, Voltaire Netzwerk, 8. September 2017.

[6Die Türkei von heute setzt den armenischen Genozid fort“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Sabine, Voltaire Netzwerk, 2. Mai 2015.

[7Die Anarchisten-Brigaden der NATO“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich, Korrekturlesen : Werner Leuthäusser, Voltaire Netzwerk, 12. September 2017.

[8Kurdistan: was sich hinter dem Referendum verbirgt“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich, Al-Watan (Syrien) , Voltaire Netzwerk, 26. September 2017.