»Wegen meiner Brüder und meiner Freunde will ich sagen: In dir sei Friede« (Ps 122,8).

Gott des Erbarmens und Herr der Geschichte, zu dir erheben wir unsere Augen von diesem Ort aus, der eine Wegkreuzung von Tod und Leben, von Niederlage und Wiederaufleben, von Leid und Erbarmen ist.

Hier sind von vielen Männern und Frauen, von ihren Träumen und Hoffnungen, inmitten von Blitz und Feuer nichts als Schatten und Stille zurückgeblieben. In einem Augenblick wurde alles von einem schwarzen Loch aus Zerstörung und Tod verschlungen. Aus diesem Abgrund des Schweigens hört man noch heute den lauten Schrei derer, die nicht mehr sind. Sie stammten aus unterschiedlichen Orten, sie hatten verschiedene Namen, einige von ihnen redeten fremde Sprachen. Sie wurden alle vom gleichen Schicksal vereint zu einer schrecklichen Stunde, die für immer nicht nur die Geschichte dieses Landes, sondern auch das Antlitzes der Menschheit kennzeichnen sollte.

Ich gedenke hier aller Opfer und verneige mich vor der Stärke und der Würde derer, die über viele Jahre hinweg als Überlebende jener ersten Augenblicke die heftigsten körperlichen Schmerzen und in ihrem Geist die Keime des Todes ertragen haben, die an ihrer Lebenskraft weiter gezehrt haben.

Ich habe es als meine Pflicht betrachtet, als Pilger des Friedens an diesen Ort zu kommen, um im Gebet zu verweilen und der unschuldigen Opfer solcher Gewalt zu gedenken. Dabei trage ich im Herzen auch die Bittrufe und Anliegen der Männer und Frauen unserer Zeit, insbesondere der jungen Menschen, die sich nach Frieden sehnen, für den Frieden arbeiten, sich für den Frieden aufopfern. Ich bin an diesen Ort gekommen, der reich ist an Erinnerung und Zukunft, und trage dabei den Schrei der Armen mit mir, die immer die wehrlosesten Opfer von Hass und Konflikten sind.

Ich möchte mich in Demut zur Stimme all derer machen, deren Stimme nicht gehört wird und die mit Beunruhigung und Angst die wachsenden Spannungen beobachten, die unsere Zeit durchziehen, die unannehmbaren Gegensätze und Ungerechtigkeiten, die das menschliche Zusammenleben bedrohen, die schwerwiegende Unfähigkeit zur Sorge um unser gemeinsames Haus, den andauernden, krampfhaften Rückgriff auf Waffen, als ob diese eine friedliche Zukunft gewährleisten könnten.

Aus tiefer Überzeugung möchte ich bekräftigen, dass der Einsatz von Atomenergie zu Kriegszwecken heute mehr denn je ein Verbrechen ist, nicht nur gegen den Menschen und seine Würde, sondern auch gegen jede Zukunftsmöglichkeit in unserem gemeinsamen Haus. Der Einsatz von Atomenergie zu Kriegszwecken ist unmoralisch, wie ebenso der Besitz von Atomwaffen unmoralisch ist, wie ich schon vor zwei Jahren gesagt habe. Wir werden darüber gerichtet werden. Die neuen Generationen werden unser Scheitern verurteilen, wenn wir zwar über Frieden geredet, ihn aber nicht mit unserem Handeln unter den Völkern der Erde umgesetzt haben. Wie können wir von Frieden sprechen, während wir an neuen, furchtbaren Kriegswaffen bauen? Wie können wir über Frieden sprechen, während wir bestimmte illegale Handlungen mit diskriminierenden und hasserfüllten Reden rechtfertigen?

Ich bin überzeugt, dass der Friede nur „Schall und Rauch“ ist, wenn er nicht auf der Wahrheit gründet und mit Gerechtigkeit erbaut wird, wenn er nicht durch die Liebe beseelt und vervollständigt und nicht in der Freiheit verwirklicht wird (vgl. hl. Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris, 18).

Der Aufbau des Friedens in Wahrheit und Gerechtigkeit bedeutet anzuerkennen, »dass die Menschen sehr häufig und auch in hohem Maße voneinander verschieden sind an Wissen, Tugend, Geisteskraft und an Besitz äußerer Güter« (ebd., 49). Das kann aber niemals das Bestreben rechtfertigen, anderen die eigenen Sonderinteressen aufzuzwängen. Im Gegenteil, all dies kann Grund zu größerer Verantwortung und Respekt sein. Desgleichen sind die Nationen, die gerechterweise ein unterschiedliches Kulturniveau und verschiedene wirtschaftliche Entwicklungen aufweisen, gerufen, sich für den »gemeinsamen Fortschritt«, für das Wohl aller einzusetzen (vgl. ebd., 49-50).

Wenn wir tatsächlich eine gerechtere und sicherere Gesellschaft aufbauen wollen, müssen wir die Waffen aus unseren Händen legen: »Man kann nicht lieben mit Angriffswaffen in den Händen« (hl. Paul VI., Ansprache an die Vereinten Nationen, 4. Oktober 1965, 5). Wenn wir der Logik der Waffen nachgeben und uns von der Praxis des Dialogs entfernen, vergessen wir tragischerweise, dass die Waffen, noch bevor sie Opfer fordern und Zerstörung bewirken, böse Szenarien hervorrufen können; »sie erfordern maßlose Kosten; sie vereiteln Projekte der Solidarität und der nützlichen Arbeit; sie verstören das Seelenleben der Völker« (ebd., 5). Wie können wir Frieden anbieten, wenn wir beständig die Drohung eines Atomkrieges als legitimes Mittel zur Konfliktlösung einsetzen? Möge dieser Abgrund des Schmerzes an die Grenzen erinnern, die niemals überschritten werden dürfen. Der wahre Friede kann nur ein waffenloser Friede sein. Darüber hinaus besteht der Friede »nicht darin, dass kein Krieg ist; […], sondern [er ist eine] immer wieder neu zu erfüllende Aufgabe« (Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 78). Er ist die Frucht von Gerechtigkeit, von Entwicklung, Solidarität, vom Interesse für unser gemeinsames Haus und der Förderung des Gemeinwohls, indem man aus den Lehren der Geschichte lernt.

Erinnern, gemeinsam gehen, schützen. Dies sind drei moralische Imperative, die gerade hier in Hiroshima eine noch größere und universalere Bedeutung erlangen und einen Weg des Friedens eröffnen können. Deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass die gegenwärtigen und künftigen Generationen die Erinnerung an das Geschehene verlieren; jene Erinnerung, die Garantie und Ansporn ist, um eine gerechtere und brüderlichere Welt zu erbauen; ein Gedächtnis, das sich verbreitet, um die Gewissen aller Männer und Frauen aufzurütteln, insbesondere der heutigen Verantwortungsträger der Nationen; eine lebendige Erinnerung, die helfen möge, von Generation zu Generation zu sagen: Nie wieder!

Gerade deswegen sind wir gerufen, gemeinsam mit einer verständnisvollen und verzeihenden Haltung weiter zu schreiten. Dann öffnen wir den Horizont für die Hoffnung und lassen einen Lichtstrahl durch die zahlreichen Wolken fallen, die den Himmel heute verdunkeln. Öffnen wir uns der Hoffnung, werden wir zu Werkzeugen der Versöhnung und des Friedens. Dies ist immer möglich, wenn wir uns als Brüder mit einer gemeinsamen Bestimmung schützen und anerkennen lernen. Unsere Welt ist nicht nur durch die Globalisierung vernetzt, sondern immer schon durch die allen gemeinsame Erde: Sie verlangt heute mehr als zu anderen Zeiten danach, die ausgrenzenden Interessen gewisser Gruppierungen oder Sektoren hintanzusetzen, um sich der Größe derer anzuschließen, die in geteilter Verantwortung für die Gewährleistung einer gemeinsamen Zukunft kämpfen.

In einer einzigen Bitte an Gott und an alle Männer und Frauen guten Willens und im Namen aller Opfer von Bombardierungen, Nuklearexperimenten und aller Konflikte erheben wir gemeinsam aus unseren Herzen den Ruf: Nie wieder Krieg, nie wieder das Dröhnen der Waffen, nie wieder so viel Leid! Möge der Friede in unsere Tage, in diese unsere Welt kommen. Herr, unser Gott, du hast es uns versprochen: »Es begegnen einander Huld und Treue; Gerechtigkeit und Friede küssen sich. Treue sprosst aus der Erde hervor; Gerechtigkeit blickt vom Himmel hernieder« (Ps 84,11-12).

Komm, Herr, denn es will Abend werden, und wo die Zerstörung mächtig wurde, möge heute die Hoffnung übermächtig werden. Die Hoffnung, dass es möglich ist, eine andere Geschichte zu schreiben und zu verwirklichen. Komm, oh Herr, Friedensfürst, mache uns zu Werkzeugen und zum Widerschein deines Friedens!

»Wegen meiner Brüder und meiner Freunde will ich sagen: In dir sei Friede« (Ps 122,8).