Der Iran hat in seinen Reden vor den Vereinten Nationen die Aufmerksamkeit der Welt auf sich gezogen. Er hat die Würde der Völker angesichts des Imperialismus verteidigt. Von diesem Vermächtnis ist heute nichts mehr übrig.
Präsident Mahmud Ahmadinedschad stellt auf der 65. Tagung der UN-Vollversammlung am 23. September 2010 die offizielle Version der Anschläge vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten in Frage.

Die 195 Mitgliedsstaaten der UNO behaupten, ihre Konflikte lösen zu wollen, ohne auf Krieg zurückzugreifen, sondern nur auf das Gesetz. Seit ihrer Gründung durch die Haager Konferenz von 1899 beruht dieses Recht auf einer einfachen Idee: So wie Einzelpersonen, - einschließlich politischer Führer -, sich bereit erklären, keinen Bürgerkrieg zu entfachen, indem sie sich dem nationalen Recht unterwerfen, können Staaten sich vor Krieg schützen, indem sie sich willentlich dem Völkerrecht unterwerfen.

Mit dem "Internationalen Recht" meine ich die Verfahren, die die Beziehungen zwischen Staaten regeln, nicht jene, vom Nürnberger Prozess bis zum IStGH, die das Urteil der Sieger den Besiegten auferlegten.

Drei UN-Mitglieder zeigen nun ihr Unverständnis gegenüber dem Völkerrecht, während andere sich nicht mehr darauf beziehen, und, nachdem sie den Begriff der "Menschenrechte" verzerrt haben [1], "regelbasierten Multilateralismus" bevorzugen [2].

Drei Staaten außerhalb des Gesetzes

 Das erste dieser Mitglieder sind die Vereinigten Staaten, die sich seit ihrer Gründung vor zwei Jahrhunderten als Nation "wie keine andere" betrachten. Nach ihrem nationalen Mythos waren sie eine Zuflucht für die puritanische Sekte der "Pilgerväter" der Mayflower und sind sie heute noch für alle religiösen und politischen Verfolgten. Aus diesem Grund haben sie sich stets geweigert, internationale Verträge im innerstaatlichen Recht anzuwenden; das Verhalten anderer hart zu beurteilen, aber ihre Staatsangehörigen a Priori freizusprechen, die dasselbe tun; und sich weigern, einer internationalen Gerichtsbarkeit zu erlauben, sich für ihre inneren Angelegenheiten zu interessieren [3]. Das ist der tiefe Grund, warum sie andere Länder dazu drängten, dem Völkerbund beizutreten, sich selbst aber weigerten dies zu tun. Wenn sie auch während des Kalten Krieges die Prinzipien des Völkerrechts akzeptierten, von der Gründung der UNO bis zum Untergang der UdSSR, kehrten sie so schnell wie möglich zu ihrem früheren Verhalten zurück. So griffen sie 1999 illegal die Bundesrepublik Jugoslawien an und bezogen ihre Vasallen der Atlantischen Allianz mit ein. Dann starteten sie unter falschen Vorwänden Kriege in Afghanistan, Irak und Libyen. Ihre Angriffe auf Iraner in zwei Ländern des Nahen Ostens, Irak und Jemen, am 3. Januar 2020, sind gleichermaßen illegal.

 Der zweite Staat war Israel seit seiner einseitigen Proklamation am 14. Mai 1948 unter Verstoß gegen den von den Vereinten Nationen entwickelten Prozess der gemeinsamen Nutzung des geographischen Palästinas. Seit siebzig Jahren missachtet Tel Aviv die vom Sicherheitsrat verabschiedeten Resolutionen. Wann immer Sanktionen gegen Israel erwogen werden, kann es sich auf dem Schutz der Vereinigten Staaten verlassen und unterliegt nicht den Resolutionen. Es sieht sich als ewig bedroht und kann nur durch Krieg überleben; eine kulturelle Position, die vielleicht enden wird, wenn seine Bürger, die sich als Juden (Likud) definieren, weniger zahlreich sind als diejenigen, die sich selbst als Israelis definieren (Blau-Weiß).

 Es gibt jetzt einen Dritten: den Iran. Schon seit jeher hat Teheran seine Oppositionsführer immer im Ausland hingerichtet, auf der ganzen Welt, aber nie Ausländer. Zum Beispiel ließ Shah Mohammad Reza Pahlavi den Philosophen Ali Shariati in London ermorden und nach 1978 ließ die islamische Regierung in Europa Konterrevolutionäre ermorden. Diese Morde wurden nie offiziell zugegeben. Während des vom Irak aufgezwungenen Krieges ließ der Iran Ziele seiner Feinde im Ausland angreifen; zum Beispiel der Angriff auf US-amerikanische und französische UN-Truppen in Beirut im Jahr 1983. Aber er wurde von libanesischen Stellvertretern durchgeführt (die später an der Gründung der Hisbollah beteiligt waren) und richtete sich gegen die illegalen Aktivitäten von Soldaten dieser Truppe (das regionale geheime Treffen der CIA). Seit zwei Jahren haben nun iranische Streitkräfte wiederholt Raketen von syrischem Territorium aus auf Israel abgefeuert, ohne sie für sich zu beanspruchen, und unter Verstoß gegen die syrisch-israelische Waffenruhe von 1973. Und in diesem Monat wurden offiziell Raketen aus dem Iran auf US-Streitkräfte im Irak abgefeuert, unter Verletzung der Souveränität Bagdads [4].

Die Vereinigten Staaten sehen sich als die Nation der Verfolgten und können daher keinen Rat von anderen, den Verfolgern, erhalten. Israel stellt sich als Zufluchtsort eines bedrohten Volkes dar und kann daher keinen Rat von jenen erhalten, die es ignoriert oder schlimmer misshandelt haben. Aber Iran?

Die Entwicklung des Iran

Wie lässt sich diese Entwicklung erklären, wenn nicht durch einen tiefgreifenden Machtwechsel? Ende 2013 begann sich alles zu verändern, und seit 2017 gibt es Demonstrationen, nicht nur in Teheran und Isfahan, sondern im ganzen Land. Allmählich haben sich die Institutionen verwandelt. Die von der Exekutive und der Legislative unabhängige Justiz ist zu einem Organ politischer Repression geworden [5], und ging selbst so weit, den ehemaligen nationalistischen Vizepräsidenten Hamid Baghaie aus geheimen Gründen zu 15 Jahren Haft zu verurteilen [6]. Der Wächterrat, der - während der Revolution - dafür sorgen sollte, dass ausländische Agenten von Wahlen ausgeschlossen wurden, ist zu einem Organ der Zensur der Opposition geworden und ging selbst so weit, das Team des ehemaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad als "schlechte Muslime" zu bezeichnen (sic). Während im Islam die klerikale Funktion darin besteht, das Recht zu sagen, erleben wir jetzt eine Wiederaufnahme der Macht durch einen Klerus, der gegen alle Rechtsgrundsätze verstößt.

Wir sagen das unaufhörlich seit sechs Jahren: dies hat nichts mit dem Gegensatz zwischen Pro und Anti-Westen zu tun, auch nicht mit der Glaubensfrage. Es ist die Rückkehr des jahrhundertealten Problems der Iraner: die blinde Verehrung der klerikalen Funktion, egal welchen vorherrschenden Bekenntnisses. Ohne eine verfassungsmäßige Trennung von zivilen und religiösen Mächten wird es keine Lösung geben. Zu allen Zeiten, unter allen möglichen dominanten Religionen, unter allen Arten von Regimen, hat es dieses Problem gegeben.

Ich wiederhole, das hat nichts mit der Revolution von 1978 zu tun, die entgegen der landläufigen Meinung im Westen nicht mit dem Klerus, sondern gegen ihn gemacht wurde. Ayatollah Khomeini war von seinen Kollegen abgelehnt worden, die ihm erst nach seinem Sieg folgten. Sie waren dann übereifrig, um ihre früheren Exzesse vergessen zu machen. Wenn man sich auf die offiziellen US-Dokumente bezieht, die bereits freigegeben wurden [7], betrachtete der damalige nationale Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski den Klerus als Verbündeten der Vereinigten Staaten, gegenüber einem Schah, der zu gierig geworden war. Brzezinski organisierte die Rückkehr von Imam Khomeini und dachte fälschlicherweise, er sei wie die anderen Ordensleute. Sofort nach dessen antiimperialistischer Rede auf dem Friedhof Behesht-e Zahra war er enttäuscht.

Viele Akteure im Nahen Osten haben diese Entwicklung verstanden, angefangen mit der Hisbollah und Syrien. Beide haben sich von der iranischen Innenpolitik distanziert. Mitten im Krieg hatte Damaskus seit mehr als einem Jahr keinen iranischen Botschafter mehr. Der Westen hingegen, nahm diese Veränderung nicht wahr, weil er der Gefangene seiner eigenen Propaganda gegen die Revolution von 1978 war. Er interpretiert die gegenwärtigen Bewegungen im Iran nach ihren unzähligen Versuchen, das Regime zu stürzen, und nicht, indem er das Verhalten der Iraner beobachtet.

Die Erklärungen der USA und des Iran vor dem Sicherheitsrat

Wie bei jeder militärischen Intervention im Ausland haben die Vereinigten Staaten und der Iran dem Sicherheitsrat nach ihrem Bombenaustausch zugesichert, dass sie im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen handelten.

Der Brief von Botschafterin Kelly Craft, der die Ermordung von General Qassem Soleimani am 2. Januar 2020 ankündigte, ist surreal [8].
 Er nimmt keinen Bezug auf das gleichzeitige Attentat auf seinen Stellvertreter, den streng geheimnisvollen Abdul Reza Shahlai, im Jemen [9].
 Er erhebt eine Reihe von Anschuldigungen gegen die Verbündeten des Iran, aber keine gegen das Ziel selbst.
 Die Vorwürfe von Präsident Trump, dass Soleimani vier US-Botschaften unmittelbar angreifen würde, werden nicht mehr erwähnt. Sie wurden auch vom Verteidigungsminister Mark Esper entkräftet [10].
Die einzige Anklage gegen den Iran selbst ist die Antwort vom 7. Januar.

Der Brief von Botschafter Majid Takht Ravanchi ist ebenso absurd [11].
 Er bestätigt die Rechtmäßigkeit einer iranischen Antwort, nicht jedoch diese. Es gibt keine Rechtfertigung für den Iran, irakisches Territorium ohne Erlaubnis der Regierung in Bagdad zu beschießen.

Übrigens protestierte der Irak sofort gegen das Vorgehen der Vereinigten Staaten und des Irans [12].

Das Interesse des Völkerrechts

Viele glauben, dass es keinen Grund gibt, das Recht zu respektieren, wenn andere sich nicht daran halten. Sie sehen es nur als eine Einschränkung und nicht als Schutz.

In seinem Leviathan zeigte der Philosoph Thomas Hobbes, der den englischen Bürgerkrieg (1642-1651) miterlebt hatte, dass der Einzelne alles tun müsse, um sich vor dem Chaos zu schützen. Diejenigen, die sich den dschihadistischen Armeen gestellt haben, wissen, in welcher Hinsicht er Recht hatte, die anderen ignorieren es, bedingt durch ihre verschlafene Bequemlichkeit. Hobbes ging sogar so weit zu denken, dass es besser sei, einen autoritären Staat zu haben, als die Schrecken des Chaos. Er akzeptierte selbst die Auswüchse des Staates, den er mit dem Leviathan verglich, dem monströsen Tier, das die Unterwelt begrenzt.

Darüber hinaus gibt es nichts Ungeheuerliches am Völkerrecht. Es verletzt kein Gewissen. Davon abzuweichen, bedroht den Frieden und damit unser aller Leben.

Übersetzung
Horst Frohlich
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser

[1Theorie und Praxis der Menschenrechte“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich, Korrekturlesen : Werner Leuthäusser, Voltaire Netzwerk, 2. Oktober 2019.

[2Multilateralismus oder Völkerrecht?“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich, Korrekturlesen : Werner Leuthäusser, Voltaire Netzwerk, 3. Dezember 2019.

[3Man lese unbedingt die Sitzung des Symposiums des Carr Center for Human Rights Policy : American Exceptionalism and Human Rights, Michael Ignatieff, Princeton University Press (2005).

[5Die iranische Justiz trotzt den politischen Parteien... außer einer“, Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 22. August 2017.

[6Geheimer Prozess: 15 Jahre Haft für den Vize-Präsidenten von Ahmadinedschad“, Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 30. März 2018.

[7Foreign Relations of the United States. Iran: Revolution, January 1977–November 1979 (Under Declassification Review); Iran: Hostage Crisis, November 1979–September 1980 (In Production); Iran: Hostage Crisis, September 1980–January 1981 (Under Declassification Review), US Secretary of State.

[8US notification of the elimination of Qassem Soleimani”, by Kelly Craft, Voltaire Network, 8 January 2020.

[9On the day U.S. forces killed Soleimani, they targeted a senior Iranian official in Yemen”, John Hudson, Missy Ryan and Josh Dawsey, The Washington Post, January 10, 2020.

[10Esper says he "didn’t see" specific evidence showing Iranian threat to 4 U.S. embassies”, Melissa Quinn, Face The Nation, CBS, January 12, 2020.

[11« Notification iranienne du bombardement de bases US », par Majid Takht Ravanchi, Réseau Voltaire, 8 janvier 2020.

[12« Violations iraniennes de la souveraineté iraquienne », par Mohammed Hussein Bahr Aluloom‎‎, Réseau Voltaire, 9 janvier 2020.