Jean Castex ist ein Mann der Gascogne, mit viel Ehrgeiz, der an die Figur von Eugène de Rastignac erinnert, die von Honoré de Balzac geschaffen wurde. Da er seinen sozialen Aufstieg über jegliche Ideologie stellt, trat er am Morgen des 3. Juli von seiner oppositionellen politischen Partei zurück, um am Nachmittag von Emmanuel Macron zum Premierminister ernannt zu werden. Er ist Mitglied des „Siècle“, des Klubs des Geschäfts-Establishments.

Die französische Verwaltung arbeitet sehr gut allein. In diesem Sinne ist sie eine der besten der Welt. Die Rolle der Minister besteht also nicht darin, an die Stelle der Zentralverwaltungsdirektoren zu treten, die die Maschine betreuen. Im Gegenteil, es geht darum, die Verwaltung an die Veränderungen der Welt anzupassen; sie in jene Richtung zu lenken, die vom Präsidenten der Republik erdacht und von den Bürgern bei seiner Wahl gebilligt wurde.

Der Präsident der Republik kann nicht zu allem eine Meinung haben. Aber er muss sich um die Außen- und Verteidigungspolitik, um die Polizei und Justiz, die Währung und um die Steuern kümmern. Das nennt man die hoheitlichen Funktionen. Gegenwärtig muss er dieses Paket überdenken, um angesichts einer tiefgreifenden Veränderung der Gesellschaftsstrukturen den Gesellschaftsvertrag wiederherzustellen.

Die Vermögensungleichheiten haben erheblich zugenommen. In den letzten Jahren sind die Mittelschichten wie Schnee in der Sonne geschmolzen, und eine neue soziale Klasse erschien vor aller Augen während der Demonstrationen der Gelben Westen. Der reichste Mann des Landes besitzt ein Vermögen, das ein „Smicard“ [Franzose mit dem offiziellen Mindestlohn] nicht einmal brutto in anderthalb Millionen Jahren verdienen kann. Diese astronomische Diskrepanz verweist das Land auf eine mittelalterliche Organisation und macht eine demokratische Funktionsweise unmöglich.

Seit dem Schlaganfall von Präsident Jacques Chirac am 2. September 2005 ist kein Pilot mehr im Flugzeug. Bei den drei Präsidentschaftswahlen von 2007, 2012 und 2017 hat keiner der gewählten Kandidaten eine Vision für das Land vorgelegt, nur sektorielle Maßnahmen. Frankreich, ohne einen Präsidenten, der diesen Namen verdient, ist seit 15 Jahren im Abdriften.

Der neue französische Premierminister, Jean Castex, ist ein sehr hoher Beamter, dessen Effizienz und Aufmerksamkeit alle anderen loben. Aber er ist kein Politiker, fähig neue Ziele zu setzen und die Architektur des Systems zu überdenken.

Sein Kabinettschef, Nicolas Revel, ist ein heftiger Verfechter eines harten Atlantismus. Er ist der Sohn des Mitglieds der Académie Française, Jean-François Revel und der Journalistin Claude Sarraute. Ersterer war der Hauptagent des National Endowment for Democracy in Frankreich. Die zweite war Kolumnistin in Le Monde. Sie bemühte sich mit Humor, die Arbeitergewerkschaften lächerlich zu machen und die gesellschaftlichen Kämpfe aufzuwerten.

Die Bilanz der ersten Tage von Jean Castex in Matignon ist katastrophal. In diesem Artikel werde ich auf seine ersten drei Entscheidungen zur Organisation der Regierung, zur Reaktion auf die Pandemie und zur europäischen Politik eingehen.

1- Die Reform der Ministerkabinette

Unmittelbar nach der Ernennung seiner Regierung hat der neue Premierminister die von seinem Vorgänger für die Zusammensetzung der Kabinette auferlegte einschränkende Regel reformiert. Er hat die Zahl der politischen Mitarbeiter von 10 auf 15 erhöht. In der Tat beschwerten sich die Minister der Regierungen von Edouard Philippe, nicht genug Mitarbeiter zu haben, um die Zentralverwaltungen kontrollieren zu können. Wozu dienten also ihre 10 Mitarbeiter? Um der Öffentlichkeit gerecht zu werden und ihr Image zu verbessern.

Natürlich werden die Minister nicht gewählt und schulden daher nur dem Premierminister und dem Präsidenten der Republik Rechenschaft, nicht direkt den Wählern. Aber da jeder zuerst an seine Karriere und erst dann an seine Funktion denkt, sind 10 PR-Mitarbeiter doch nicht zu viel.

Unter diesen Umständen sollten nicht fünf zusätzliche Stellen bei jedem Minister geschaffen werden, sondern dafür gesorgt werden, dass die engagierten Mitarbeiter im Interesse der Regierung und nicht im Interesse der Zukunft des Ministers eingestellt werden. Ohne vorweg zu nehmen, was jeder nun tun wird, ist es offensichtlich, dass Jean Castex nicht wünscht, dass die Mitglieder in die Verwaltung eingreifen, sondern dass sie die Minister über die technischen Aspekte der Dossiers informieren. Es ist nur ein sehr kleiner Schritt nach vorn, der das Problem nicht lösen wird.

2- Die Maskenpflicht

Kurz bevor er zum Premierminister ernannt wurde, wurde Jean Castex mit einer Mission zur Lockerung der Beschränkungen nach der Covid-19-Epidemie beauftragt. Er soll also über die Vorbeugung dieser Krankheit nachgedacht haben.

Während die vorherige Regierung erklärt hatte, dass die Masken nicht viel nützten, machte Jean Castex sie jetzt zur Pflicht. Die Öffentliche Meinung hat diese Änderung der Anweisung fälschlicherweise nach der Verfügbarkeit dieser Masken interpretiert: als es keine Masken gab, waren sie nutzlos, und als es sie dann gab, wurden sie Pflicht.

Tatsächlich weiß man, acht Monate nach Beginn der weltweiten Epidemie, immer noch nicht, wie dieses Virus übertragen wird und wie man seine Ausbreitung verhindern kann. Der Unterschied in den Anweisungen ist nicht auf die Verfügbarkeit der Masken zurückzuführen, sondern auf den Willen der neuen Regierung zu zeigen, dass sie die Dinge in die Hand nimmt. Das ist keine medizinische Maßnahme, sondern eine Art, sich zu beruhigen.

Erinnern Sie sich an die Behauptung aller Behörden nach der Ankunft des Virus im Westen, dass es sich durch Kontakt über feste Oberflächen ausbreitet. Eine Hysterie hat Europa wegen der Türgriffe heimgesucht. Es genügte nur eine Klinke zu berühren und sein Gesicht dann mit der Hand zu streifen, um den sofortigen Tod zu riskieren.

Man hatte tatsächlich herausgefunden, dass das Virus ein paar Stunden auf Türgriffen überleben konnte und sogar zwei Tage auf Pappe. Daraus hat man den Schluss gezogen, dass die Briefe und Pakete vor ihrer Öffnung 48 Stunden aufbewahrt werden sollten. Heute erscheinen diese Anweisungen dumm und niemand folgt ihnen. Auf wissenschaftlicher Ebene hat sich jedoch nichts geändert. Man weiß heute nicht mehr über die Art und Weise der Kontamination als gestern. Man hat nur bemerkt, dass es keine Übertragung über feste Oberflächen zu geben scheint. Man "glaubt also", dass das Virus sich direkt durch irgendwelche mysteriöse menschliche Flüssigkeiten überträgt. In der allgemein anerkannten "Meinung" heißt es, dass die Krankheit durch Atemtröpfchen übertragen wird. Es ist daher angebracht, eine Maske zu tragen. Aber dieser Glaube ist nicht sicherer als der vorherige.

Ich erinnere mich, dass man bei der Aids-Epidemie genauso gehandelt hat. Das Retrovirus wurde im Blut und im Sperma identifiziert. Daraus kam man zu dem Schluss, dass es durch Moskitos und Oralsex übertragen werden könne. Drei Jahre lang haben die Gesundheitsbehörden vieler Länder die Präventionsbotschaften in diesem Sinne immer wiederholt. Heute weiß man, dass sie falsch lagen. Aids wird nicht durch Moskitos oder Oralsex übertragen.

Der Fehler besteht darin zu glauben, dass man sich nur einen Virus einfangen muss, um krank zu werden. Nun ist der menschliche Körper für das Leben mit vielen Viren angelegt. Meistens weiß er sich davor zu schützen. Die Covid-19 ist eine Atemwegserkrankung. Sie wird also a priori wie andere Atemwegserkrankungen übertragen: durch die Luft. Wenn dies der Fall ist, müssen die einzigen nützlichen Masken hermetisch sein, wie z. B. Gasmasken, die von Armeen oder P4-Laboratorien verwendet werden. Im Gegenteil, chirurgische Masken sind ein falscher Schutz, da sie nicht an der Haut haften und an vielen Stellen Luft durchlassen.

Für den Fall, dass Covid-19 wie alle anderen Atemwegserkrankungen übertragen wird - was a priori die wahrscheinlichste Hypothese ist - muss die Vorbeugung darin bestehen, geschlossene Räume zu belüften. Was die WHO zu Beginn der Pandemie auch erklärt hatte.

Allerdings taucht ein weiteres Problem auf. Man hat in den letzten Jahren in vielen Gebäuden Klimaanlagen installiert. Wenn die klimatisierte Luft verunreinigten Wasserdampf beinhaltet, können alle anderen Menschen, die diese Luft einatmen, kontaminiert werden. Man erinnere sich an die Legionellen-Epidemie (eine schwere bakterielle Lungeninfektion) anlässlich der Convention 1976 der „American Legion“ in Philadelphia. Dieselbe Krankheit wurde im Jahr 2000 auf die gleiche Weise auf Patienten des europäischen Georges Pompidou-Krankenhauses in Paris übertragen, kurz nach seiner Eröffnung. Man musste die gesamte Klimaanlage dieses riesigen, brandneuen Krankenhauses umbauen.

Es ist zu unterscheiden zwischen Klimaanlagen, die Luft nach außen emittieren, und solche, die in geschlossenem Kreislauf betrieben werden und möglicherweise die Krankheit in der gesamten Einrichtung verbreiten. Die Kontaminationen in Schlachthöfen, die in einem geschlossenen Kreislauf und bei niedrigen Temperaturen funktionieren, deuten darauf hin, dass diese Hypothese sehr ernst genommen werden sollte.

Diese Hypothese in Betracht zu ziehen, bedeutet, zu akzeptieren, dass viele moderne Gebäude saniert werden müssen, wie man es mit dem Pompidou-Krankenhaus getan hat. Dies sind erhebliche Ausgaben, die mit denen vergleichbar sind, die für die Asbestsanierung von Gebäuden ausgegeben werden.

Für einen hohen Beamten ist es besser, diese Möglichkeit zu ignorieren. Nichts ändern, wie andere Staaten handeln und das Tragen der Maske zwingend vorschreiben.

3- Der Hamilton-Moment

Das deutsch-französische Projekt von Bundeskanzler Helmut Kohl und Präsident François Mitterrand wurde während des Kalten Krieges entworfen. Im Maastrichter Vertrag von 1992 festgelegt, wird es unaufhaltsam fortgesetzt. Das strategische Ziel besteht darin, eine überstaatliche Struktur aufzubauen, die die Interessenunterschiede zwischen den beiden Ländern neutralisieren und wirtschaftlich mit den USA, Russland und China konkurrieren kann. Unerbittlich werden die Puzzleteile nacheinander in Ordnung gebracht, wie es beim Verfassungsvertrag der Fall war.

Angesichts des Widerstands vieler europäischer Völker gegen diese US-kontrollierte Konstruktion sind die derzeitigen Etappen schwer zu bewältigen, aber die Covid-19-Epidemie ermöglicht es den deutschen und französischen Führern, im Zuge der Gesundheitspanik zu handeln. Das ist das hamiltonian moment (Hamilton-Moment), unter Bezugnahme auf die Art und Weise, wie Alexander Hamilton sein Land von einem System der Zusammenarbeit zwischen unabhängigen Staaten zu einer Föderation umformte. In den Jahren 1789-95, als er der erste Finanzminister der Vereinigten Staaten war, ließ er die Schulden der Mitgliedstaaten, die während des Unabhängigkeitskrieges gemacht wurden, von der Bundesregierung übernehmen und schuf so ihre Abhängigkeit. Es war jedoch erst siebzig Jahre später, als die Staaten des Südens die einheitlichen Zölle, die die Bundesregierung ihnen im Interesse der nördlichen Staaten aufzuzwingen versuchte, ablehnten, dass sich der Föderalismus als Zwangsjacke erwies und den Bürgerkrieg auslöste.

Nach einem der längsten Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union hat der Europäische Rat nun einen Plan in Höhe von 750 Mrd. EUR angenommen, um die wirtschaftliche Erholung nach dem Covid zu erleichtern. Er wird nicht durch eine Abwertung des Euro finanziert werden, da nur 19 von 27 Staaten Euro-Mitglieder sind, sondern durch 30-jährige Anleihen. Es dürfte daher, wenn nicht unmöglich, zumindest sehr schwierig werden, in den nächsten 30 Jahren Austritte aus der Union nach dem Vorbild des Vereinigten Königreichs zu organisieren.

In einem ersten Schritt, wenn die Unternehmen Zuschüsse oder europäische Kredite erhalten, werden sich alle freuen. Aber wenn die Dinge dann besser gehen werden und man feststellen wird, dass wir uns für 30 Jahre entfremdet haben, wird die Revolte toben.

Dieser Plan wird als Notmaßnahme angesichts einer schrecklichen Krise dargestellt. Es handelt sich nur um eine Kommunikations-verpackung, wie die Tatsache zeigt, dass er nach seiner Annahme durch den Rat der Staats- und Regierungschefs an das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente verwiesen wurde, die sich erst in mehreren Monaten dazu äußern werden. Während dieser ganzen Zeit wird die angeblich "Nothilfe" blockiert bleiben.

Dieser Plan wird von einem neuen EU-Haushalt für die nächsten sieben Jahre begleitet. Er offenbart die wahre Natur dieser Vereinigung: Zum Beispiel, während man über die neue "Europäische Verteidigung" kommunizierte, wird ihr Verteidigungshaushalt ohne Erklärung halbiert.

Es ist dieser Trick, den Jean Castex gerade gebilligt hat, indem er den Traum von der Macht von Kohl und Mitterrand, dann von Merkel und Macron über den Wunsch nach Unabhängigkeit der Völker stellt. Es handelt sich um eine äußerst schwere Entscheidung, die bereits zweimal gescheitert ist, als Frankreich allein und dann Deutschland allein sie mit Napoleon und Hitler versucht haben. In der derzeitigen Fassung sind sich die Staatschefs der beiden Länder einig, aber wahrscheinlich nicht ihre Völker, geschweige denn die der anderen betroffenen Länder.

Emmanuel Macron und Jean Castex haben anstelle der Franzosen zugestimmt, das Land für 30 Jahre an die EU anzuketten, um 40 Milliarden Euro zurückzubekommen. Aber wozu? Um die Art und Weise der Entlohnung der Arbeit zu reformieren und die soziale Kluft zwischen den Superreichen und den anderen zu überwinden? Um die Franzosen zu entschädigen, deren Arbeit durch eine aufgezwungene Kontaktsperre zerstört wurde? Oder um Zeit zu gewinnen und gleichzeitig den sozialen Frieden zu bewahren? Leider wollen diese beiden Männer nichts ändern, und dieses Geld wird vollkommen vergeblich ausgegeben werden.

Übersetzung
Horst Frohlich
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser