Geopolitika: Herr Meyssan, Serbien und Südosteuropa im Allgemeinen wurden durch eine Immigranten-Welle „überschwemmt ". Ist es ein spontaner Prozess, oder ist jemand an der Verschiebung eines wesentlichen Teils der Bevölkerung vom Nahen Osten und Afghanistan und anderen Ländern zum alten Kontinent interessiert? Gibt es jemanden der Präsident Al-Assad um die Unterstützung seines Volkes bringen will und die Migration aus Syrien fördert?

Thierry Meyssan: Niemand hatte das Ausmaß der aktuellen Welle von Migranten vorhergesagt. Sie kommen vor allem aus Syrien, Afghanistan und vom Horn von Afrika. Im Gegensatz zu dem was westliche Politiker sagen, sind es nicht Leute auf der Suche nach europäischem Lebensniveau bzw. Personen, die versuchen, diktatorischen Regimen zu entfliehen. Es sind einfach Menschen, auf der Flucht vor den Kämpfen, weil in ihrem Land Krieg herrscht, in der Regel wegen der westlichen Politik.

Die europäischen Politiker haben noch nicht begriffen, dass diese Migration die Folge der US-Strategie seit 2001 ist. Washington versucht nicht mehr die Kontrolle der Staaten zu ergreifen, sondern die Staaten zu zerstören und ein Chaos zu verhängen, in dem sich nichts ohne seinen Willen organisieren kann. Das ist die Theorie des Philosophen Leo Strauss, der viele Beamte des Sekretariats der Verteidigung ausgebildet hat.

Aber es ist jetzt den US-Amerikanern klar, dass, wenn Chaos auch vor Ort ihren Interessen dient, kann es nicht kontrolliert werden und neigt dazu, sich auszudehnen. Die Migranten sind jetzt so zahlreich, dass sie Staaten destabilisieren können, die Washington als sicher und solid betrachtete. Es scheint, als würde die Obama-Administration ihre Wahl ändern: die Chaos-Theorie aufgeben und zur klassischen Konfrontation des Kalten Krieges zurückkommen. Es ist jedenfalls so, wie ich sowohl die Ernennung des neuen Strategen des Sekretariats der Verteidigung, James H. Baker, als auch die Veröffentlichung der neuen Military Strategy von Ashton Carter und auch die Erklärungen des nächsten Chefs des gemeinsamen Oberkommandos, General Joseph Dunford, interpretiere.

Also, wir sollten in den kommenden Jahren sehen, dass diese Migrationsströme sich vermindern. Aber es wird mindestens zwei Jahre dauern, bis die Völker auf diese Änderung der Strategie reagieren. Die aktuelle Krise wird zuerst noch anwachsen, bevor sie sich langsam auflöst.

Geopolitika: Deutsche Welle und andere westlichen Medien verkünden mit Bosheit den baldigen Fall des Regimes in Syrien. Was ist Ihre Meinung über die Situation an der Front, die nun wirklich kompliziert geworden ist? Wie kann man der syrischen Armee helfen, natürlich, in erster Linie auf militärischer Art und Weise? Kann Syrien immer noch auf die Unterstützung Russlands für Waffen zählen und auf die Hilfe vom Iran, vom Irak und dem Libanon in Bezug auf Mitstreiter?

Thierry Meyssan: Die westlichen Medien halten die israelischen Träume für die Wirklichkeit. Es ist jetzt vier Jahre her, dass sie uns wöchentlich den bevorstehenden Zusammenbruch des ’Regimes’ versprechen. In Wirklichkeit war die Lage Mitte 2012 kritisch, aber sie ist heute vollkommen unter Kontrolle.

Von 23 Millionen Syrern sind 3 bis 4 Millionen Flüchtlinge im Ausland, 18 bis 19 Millionen unterstützen die Arabische Republik Syrien und etwa 500.000 unterstützen die Dschihadisten. Die westlichen Medien verschleiern diese Realität mit der Veröffentlichung von absurden Landkarten über die durch die Dschihadisten „befreiten Gebiete“. Die syrische arabische Armee hat einfach beschlossen, nur die Städte zu sichern und die Wüsten aufzugeben, die mehr als die Hälfte des Territoriums ausmachen. Das islamische Emirat herrscht in 3 Städten und über die Straßen durch die Wüste. Die westlichen Medien tun so, als glaubten sie, dass sie die ganze Wüste beherrschten. Das ist einfach lächerlich.

Der Krieg ist bereits gewonnen. Die aktuellen Ereignisse gehen trotzdem weiter, solange man Söldner, Geld und Waffen für Dschihadisten bereitstellt. Was logisch aufhören sollte, nach der Unterzeichnung des geheimen bilateralen Abkommens zwischen den USA und dem Iran, parallel zu dem multilateralen Abkommen über Kernenergie der 5 + 1.

Was die Allianzen betrifft, hat die Teilung des historischen Syriens durch die Briten und Franzosen im Jahre 1916 (Sykes-Picot-Abkommen) für viele Bewohner des Nahen Ostens wohl Staaten geschaffen, aber die Völker nicht geändert. Viele Libanesen glauben, dass sie mit den Syrern ein und dasselbe Volk bilden. Und dieses Gefühl existiert auch, in geringerem Maße, in Jordanien und in Palästina. Als die Hisbollah nach Syrien kam um zu kämpfen, sagte sie, hier einzugreifen, nicht um Syrien zu schützen, sondern den Libanon. Auch heute sehen wir, wie sehr sie Recht hatte: Wenn die Hisbollah die syrisch-libanesische Grenze auf der syrischen Seite nicht gesichert hätte, wäre der Libanon heute vom Krieg verwüstet.

Russland, seinerseits, hat Syrien immer beschützt, wenn seine Existenz bedroht war, und wird es auch weiterhin tun. Aber es wäre naiv zu glauben, dass Moskau mehr tun werde. Es hat Syrien – wie Novorossia - im Sicherheitsrat unterstützt, aber – weder in Syrien oder in Novorossia - nicht direkt in die Kämpfe eingegriffen. Es hat sich sogar geweigert, wesentliche Waffen wie Satellitenbilder oder Tunnel-Detektoren zu liefern [1].

Der Iran hat sich in diesem Krieg geändert. Zunächst waren die Iraner, zurzeit von Mahmoud Ahmadinedschad, bereit, für ihre anti-imperialistischen Ideale zu sterben. Heute, mit Scheich Hassan Rohani, wollen sie in den internationalen Handel zurückkehren und ihren Einflussbereich erweitern. Teheran wird daher weiterhin Damaskus unterstützen, aber es ist lebenswichtig für Syrien, neue Verbündete zu finden, wenn es nicht bald von den Persern beherrscht werden will.

Geopolitika: Was ist die Wahrheit über den islamischen Staat, der furchtbare Verbrechen begeht? Die US-Truppen behaupten, dass sie Stellungen von Daesh bombardieren, aber auf der anderen Seite, haben sie geholfen, dass eine solche militärische und monströse halböffentliche Organisation entstehen konnte, die große Teile von mehreren Staaten erobert hat? Wer hat ihnen die Waffen, die Logistik...geliefert?

Thierry Meyssan: Der islamische Staat ist ein Projekt der Vereinigten Staaten, das zu gut funktioniert hat und das sie aber jetzt überfordert. Anfangs ging es darum, den Irak durch die Schaffung eines Sunnistans (aktuelles Kalifat) und eines Kurdistans (das schließlich nicht existieren wird), gemäß des von der New York Times im Jahr 2013 veröffentlichten Robin Wright-Diagramms zu teilen. Diese neuen Staaten hätten die Kommunikationslinie zwischen dem Iran einerseits, Syrien, Libanon und Palästina andererseits abgeschnitten. Um sie zu erstellen, war es notwendig, die Bevölkerungen zu trennen, wie es in Jugoslawien geschehen ist. Das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das von der US-Armee nicht gemacht werden konnte. Daher die Verwendung von einer nicht-staatlichen Organisation, dem islamischen Emirat.

Wir haben eine zwar unvollständige, aber bereits ausreichende Dokumentation, um feststellen zu können, dass das islamische Emirat in seiner jetzigen Form von Washington mit saudischer Finanzierung und israelischer Unterstützung erstellt wurde. Jedoch wissen die Vereinigten Staaten heute nicht mehr, wie sie diese Organisation behandeln sollen, die sich so stark entwickelt hat und deren Befehl jetzt durch die Türkei erfolgt.

Das islamische Emirat benützt eine takfiristische Ideologie, das heißt, es bezieht sich auf einen Denker der muslimischen Brüder, Mustafa Schukri, und prangert alle diejenigen an, die nicht seine sektiererische Interpretation des Islam teilen. Seine Strategie wurde 2004 in einem Buch veröffentlicht Das Management der Wildheit; ein Buch signiert unter Pseudonym und dessen geistige Struktur klar vom Westen kommt.

Als es im Jahr 2006 erstellt wurde, war sie eine Stammes-Organisation, bestehend aus sechs sunnitischen Stämmen und den libyschen Kämpfern der al-Kaida im Irak. Das islamische Emirat umfasst seit seiner Neustrukturierung im Mai 2014 ehemalige mit Saudi-Arabien verbundene Offiziere von Saddam Hussein, die den Putschversuch der Muslimbruderschaft 1982 in Syrien unterstützt hatten. Aber seine Organisation erinnert an die „Mudschahiddin des Volkes“, eine iranische Sekte, die im Irak Zuflucht gesucht hatte und die Saddam Hussein verwendet hatte, um seine niedrigen Arbeiten auszuführen.

Geopolitika: Sie betrachten die nuklearen Abkommen zwischen den USA und dem Iran als Versuch einer umfassenderen Vereinbarung zwischen Teheran und Washington. Was sind die Konsequenzen für den Nahen Osten?

Thierry Meyssan: Mit der Unterzeichnung dieses Vertrags hat die islamische Republik Iran aufgehört, was ihr Name bedeutet. Nach Imam Khomeini bezeichnete das "Islamische" sowohl die muslimische Religion als auch den Kampf für Gerechtigkeit, d. h. gegen den Imperialismus. Jetzt spielt der Iran die gleiche Rolle wie zur Zeit des Schahs, des regionalen Gendarmen im Auftrag von Washington. "Islamisch" bedeutet nur mehr die islamische Religion.

Einerseits ist es eine gute Nachricht für die Völker, da dies einen Waffenstillstand für die nächsten zehn Jahre erlauben würde. Aus einem anderen Gesichtspunkt ist es eine Katastrophe, weil dieser Frieden ungerecht ist und jene, die die Ungerechtigkeit bekämpfen, jetzt allein sind.

Geopolitika: Ihr Artikel über die geheime Zusammenarbeit zwischen Saudi-Arabien und Israel ist sehr faszinierend. Was ist der Zweck dieser Zusammenarbeit und in einer konspirativen Sphäre, wo sich die Interessen dieser beiden großen Gegner treffen?

Thierry Meyssan: Israel und Saudi Arabien sind nicht mehr Gegner, sondern bereits militärische Verbündete. Sie haben zusammen den Jemen-Angriff durchgeführt. Der Generalstab der gemeinsamen arabischen Kraft ist nicht in Riyad, sondern in Hargeisa, im Somaliland. Dieser nicht anerkannte Staat, in Afrika, in der Nähe von Dschibuti, ist eine israelische Kolonie. Die Saudi-Bomber werden hauptsächlich durch israelische Piloten gesteuert. Und Israel hat sogar eine Neutronenbombe geliefert, die viele Jemeniten in einem eisigen Schweigen der "internationalen Gemeinschaft" getötet hat.

Gemäß der National Security Strategy von Barack Obama wird die Sicherheit Israels nach dem Rückzug der US-Truppen im Nahen Osten und ihrer Übertragung in den Fernen Osten von der "gemeinsamen arabischen Kraft" gewährleistet, unter der Schirmherrschaft der Arabischen Liga, aber unter israelischem Kommando.

Die Zusammenarbeit zwischen Tel Aviv und Riyad wird in den kommenden zehn Jahren weitergehen mit der Ausbeutung des Ölfeldes von Rub al-Khali, überwiegend im Jemen liegend, und dann mit dem des Ogaden, in Äthiopien. In dieser Perspektive soll die Saudi Bin Laden Gruppe eine große Brücke über die Meerenge von Bab al-Mandab bauen, die Aden mit Dschibuti verbindet.

Geopolitika: Widerstehen General Sissi und seine Armee mit Erfolg in Ägypten und hat die britisch-U.S.-Katar-Koalition, die in der Tat die muslimischen Brüder unterstützt, eine Niederlage im Tal des Nils erlitten?

Thierry Meyssan: Das Projekt, die Geheimgesellschaft der muslimischen Brüder überall in der arabischen Welt an die Macht zu bringen, ist gescheitert. Sie haben Ägypten und Tunesien verloren, sie verfehlten, in Libyen zu gewinnen, sie wurden in Syrien hinausgefeuert und sind gescheitert, einen Staatsstreich in Saudi-Arabien durchzuführen.

Anfangs durch das Katar unterstützt, sind sie es heute durch die Türkei. Die Karriere von Khaled Meschal ist dafür ein wirkliches Symbol. Dieser Hamas-Führer verkörperte den Widerstand gegen Israel, nachdem Tel Aviv die Fatah-Führer korrumpiert hat und erreicht hat, dass sie Yasser Arafat vergifteten. Meschal war nach Syrien geflüchtet und hatte dort eine lückenlose Unterstützung. Im Jahr 2012, als er dachte, dass sich der Wind drehte, und dass die Brüder mit der US-Hilfe sich durchsetzen würden, verließ er Damaskus, um sich bei einem der Feinde von Syrien, dem Katar, einzunisten. Er hat aus der Hamas den palästinensischen Zweig der Brüder gemacht und hat sich mit Al-Kaida und den Israelis verbündet, um das palästinensische am Stadtrand von Damaskus gelegene Jarmuk-Lager einzunehmen und die palästinensischen Führer und andere Fraktionen im Lager zu ermorden. Er hat verloren. Heute verbringt er den größten Teil seiner Zeit in der Türkei und versucht dass man ihn vergisst. Sein Verrat ist eine Tragödie für die Palästinenser.

General Abdel Fattah al-Sissi ist nicht frei. Sein Land ist wirtschaftlich ruiniert, und um seine Bevölkerung zu ernähren, braucht er die saudische Unterstützung. Er ist deshalb gezwungen, an dem Krieg im Jemen teilzunehmen, in einem Lager, das nicht das seine ist. Und er kann Syrien nicht helfen.

Geopolitika: Dezember haben Sie den Fall des allmächtigen türkischen Präsidenten, Tayyip Erdogan, angekündigt, mit der Veröffentlichung von schockierenden Fakten seiner Biographie... Was ist das Verhältnis zwischen der türkischen AKP und der Muslimbruderschaft? Was geschah wirklich nach dem mysteriösen Angriff auf den Saudi-Prinzen Bandar Ben Sultan?

Thierry Meyssan: Recep Tayyip Erdoğan ist kein Politiker, sondern ein ehemaliger kleiner Gauner, dem die Politik gelungen ist. Er hat keine Strategie, nur Träume - ein neues türkisches Imperium zu gründen - und einen großartigen Sinn für die günstige Gelegenheit.

Nachdem er die US-Botschaft seit vielen Jahren sein Land regieren hatte lassen, hat er sich in den Krieg gegen Libyen eingelassen, obwohl dieses Land ein wichtiger Wirtschaftspartner der Türkei war. Dann hat er vom Verschwinden des Saudi-Prinzen Bandar bin Sultan profitiert, um sich der internationalen Dschihad-Netze zu bemächtigen. Bandar war nach dem Vergeltungs-Anschlag für die Ermordung von Mitgliedern des syrischen nationalen Sicherheitsrates wegen seinen Verletzungen mehr als ein Jahr im Spital. Ebenso nutzte er die Abdankung des Emirs von Katar und übernahm die Leitung der Muslimbruderschaft. Damit ist er jetzt sowohl der Sponsor der geheimen Bruderschaft als auch der wahre Führer des Islamischen Emirats.

Berauscht von seinem Erfolg akzeptierte er das türkisch-Stream-Pipeline Projekt, das Wladimir Putin ihm im vergangenen Dezember vorgeschlagen hatte zu bauen. Das war natürlich ein schwerer Fehler, denn dadurch ist er ein privilegierter Wirtschaftspartner von Russland geworden, obwohl er über die NATO ein militärischer Partner der Vereinigten Staaten ist. Deshalb habe ich sofort seine Niederlage vorausgesagt. In der Tat hat die Botschaft der Vereinigten Staaten ihren Widerstand reorganisiert und er verlor die Wahlen. Entweder entschuldigt er sich - was ihm teuer zu stehen kommen wird – oder er muss gehen [2].

Geopolitika: Was halten Sie von der Situation in der Ukraine, die der Grund für eine steigende Konfrontation zwischen Russland und dem Westen (die Vereinigten Staaten und der EU) wurde? Was halten Sie von der Politik von Russland auf nationaler und internationaler Ebene gegenüber der Welt, insbesondere im Hinblick auf die Sanktionen, die der Westen Moskau auferlegt hat? Viele denken, dass die Ukraine die Rache der USA gegen Russland ist, wegen Syrien.

Thierry Meyssan: Den Vereinigten Staaten ist die Ukraine gleichgültig, ein ruiniertes und korruptes Land. Sie haben niemals gewünscht, dass sie der Europäischen Union beitrete. Sie haben die Inszenierung des Maidan Platzes organisiert, nicht um Petro Poroschenko an die Macht zu bringen, sondern um den Staat zu zerstören. Was ihnen gelungen ist. Die aktuelle Situation im Donbass und in Donezk passt ihnen vollkommen.

Die Zerstörung des ukrainischen Staates, wie die des irakischen Staates, entspricht ihrer großangelegten Strategie: ihre Welt-Überlegenheit pflegen durch die Verhinderung der Konkurrenz der Europäischen Union, von Russland und China. Hierzu kontrollieren sie erstens die gemeinsamen Räume - die Ozeane, die Luft und den Cyberspace -, und zweitens schneiden sie die möglichen kontinentalen Strecken ab. Den irakischen Staat zerstören, bedeutet die "Seidenstraße", die Verknüpfung von China bis zum Mittelmeer abzuschneiden. Den ukrainischen Staat zerstören, bedeutet das Projekt der Verbindung Beijing-Berlin abzuschneiden, für das China die riesige asiatische Investment-Bank für Infrastruktur (AIIB) erstellt hat.

Natürlich ist die Vereinigung von der Krim mit der Russischen Föderation eine schlechte Sache für Washington, aber es wird immer noch möglich sein, den Bosporus und die Dardanellen zu schließen. Das ändert nichts am globalen Maßstab.

Geopolitika: Großbritannien und andere westliche Staaten haben versucht, eine UN-Resolution auf Srebrenica einzureichen, die direkt gegen die Serben und die Serben von Bosnien und Herzegowina gerichtet ist, die aber durch ein Veto von Russland im Sicherheitsrat verhindert wurde. Was halten Sie von der Lage auf dem Balkan, insbesondere in Mazedonien, und warum ist Serbien immer das Ziel eines endlosen Druckes, selbst wenn alle Regierungen von Belgrad nach dem Putsch von 2000 und die Beseitigung von Slobodan Milošević, enorm auf die Forderungen des Westens eingegangen sind?

Thierry Meyssan: Der Westen ist Spezialist für das Umschreiben der Geschichte. Das Massaker von Srebrenica ist ohne Zweifel ein Völkermord, aber es sind nicht die Serben, die die ethnischen Säuberungen in Jugoslawien begonnen haben. In einer normalen Welt sollten wir Einzelpersonen aus Kroatien, Bosnien, Serbien verurteilen, die Völkermord begangen haben. Doch wir sollten ihnen allen mildernde Umstände zugestehen. Weil der Wahnsinn, der Jugoslawien gepackt hat, von den USA eingeimpft wurde. Das Verteidigungsministerium hat das Land damals einem "Labor" gleichgestellt, in dem es die Möglichkeit sah, einen Bürgerkrieg vom Zaun zu brechen. Die verfehlte Resolution im Sicherheitsrat zeigt einmal mehr, dass der Westen nur die Serben verurteilen möchte, weil sie orthodox sind und kulturell der Russischen Föderation nahe stehen.

Wie auch immer, das ist nicht die Priorität von Washington. Was heute die Vereinigten Staaten auf dem Balkan antreibt, sind die russischen Pipeline-Projekte. Um ihnen zu entgegnen hat General David Petraeus in der serbischen Presse investiert, hat die kroatische Präsidenten Kolinda Grabar-Kitarović die Unabhängigkeit der Vojvodina unterstützt und die CIA versucht, einen Staatsstreich in Mazedonien zu organisieren.

Darüber hinaus ist der Balkan immer noch die einzige Basis in Europa für Terroristen. Zu Beginn des Krieges gegen Syrien organisierte die Türkei in Kosovo die Ausbildung von Dschihadisten von Al-Kaida. Derzeit hat Daesh Trainingslager in Bosnien, in Gornja Maoča, Ošve und Dubnica.

Geopolitika: Was denken Sie über die Präsenz im Nahen Osten von Ihrer Heimat, Frankreich, dessen Politik zu Beginn des Krieges in Syrien viel an der Unterstützung der "Rebellen" beigetragen hat? Hat die Politik des Außenministers von Frankreich im Nahen Osten und Europa begonnen sich zu verbessern, um ihre eigene Identität zu haben und sich der diplomatischen Tradition zu nähern, die es in der Geschichte der französischen Republik hatte?

Thierry Meyssan: Leider gehorcht die Politik von Nicolas Sarkozy und François Hollande den Interessen eines kleinen französischen kapitalistischen Clan, der im Schatten bleibt. Es sind diese Leute, die zu militärischen Interventionen in der Elfenbeinküste, in Libyen, Syrien, Mali und in der Zentralafrikanischen Republik getrieben haben. Die Franzosen konstatieren, dass die beiden Präsidenten genau die gleiche Politik geführt haben, ob außen oder innen, d.h. für die Verteidigung oder die Wirtschaft. Aber sie haben immer noch nicht verstanden, wer die Fäden gezogen hat.

Es gibt Spitzen-Beamte, wie den Generalsekretär vom Elysee Jean-Pierre Jouyet, oder den Stabschef des Präsidenten, General Benoît Puga, die trotz der abgegebenen Stimmen und im Laufe des Wechsels von den "Republikanern" zu den "Sozialisten", im Amt geblieben sind. Ebenso haben beide Präsidenten in ihren intimsten Kreisen gemeinsame Freunde, wie Graf Henri de Castries, Vorsitzender der Versicherung AXA und der Bilderberg-Gruppe.

Es sind diese Leute, und nicht die politischen Parteien, die die französische Politik gegen die Franzosen machen. Im 19. Jahrhundert hatten wir eine vergleichbare Situation erlebt mit einer kleinen Gruppe von Wirtschaftskapitänen, Politikern und Militärs, die sich “Partei der Kolonisation” nannte und die Persönlichkeiten von Rechts und Links mischte. Nachdem sie die Arbeiterklasse ausgebeutet hatten, sind sie zum Angriff auf Nordafrika, China... und Syrien geschritten.

Geopolitika: Herr Meyssan, da man von ihrer Kenntnis und Einsicht über Geopolitik weiss, kann man schließlich nicht widerstehen Sie zu fragen, was Sie von dem Referendum in Griechenland und dem Schicksal der Verhandlungen zwischen Athen und Brüssel über die griechische Kreditfinanzierung halten.

Thierry Meyssan: Die Griechen hatten keine andere Wahl. Die Verträge hinderten sie den Euro zu verlassen, ohne die Europäische Union zu verlassen und die Vereinigten Staaten haben ihnen Letzteres verboten. Jeder erinnert sich an den Staatsstreich von 1967 und an den von1974 in Zypern.

Die Tsipras Regierung hat daher eine sehr große Mehrheit erhalten, um den Plan der Troika zurückzuweisen, und akzeptierte dann denselben Plan im Austausch für eine Beihilfe von EUR 83 Millionen, die für sie von den Vereinigten Staaten ausgehandelt wurde.

Die Öffentlichkeit versteht nichts daran, aber Alexis Tsipras konnte es nicht besser machen. Griechenland wurde von seinen europäischen Partnern niedergeschlagen, die so sehr Angst haben, frei zu sein - ich meine, ohne die Zwangsjacke der Europäischen Union -, sodass sie alles und jedes von Deutschland akzeptieren. In diesem Fall verteidigt die Merkel-Regierung die Grundsätze des aktuellen globalen Kapitalismus. Sie beutet auf sinnlose Art und Weise ihre Arbeiterklasse aus, deren Kaufkraft zurückgegangen ist und handelt jetzt ohne Rücksicht auf die menschlichen Folgen für Griechenland.

Geopolitika: Vielen Dank für dieses Interview und Ihre Zeit.

Übersetzung
Horst Frohlich
Quelle
Geopolitika (Serbien)

[1Dieses Interview wurde vor dem Washington/Teheran Abkommen vom 14. Juli gemacht. Seither wurde eine militärische Russisch-Syrische-Arbeitsgruppe eingerichtet. Moskau hat seine militärische Unterstützung verstärkt und hat begonnen, nachrichtendienstliche Erkenntnisse mit Damaskus auszutauschen.

[2Anfang August hat die Türkei das Türkisch-Stream-Projekt aufgegeben.