Während der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, sich weltweit unmöglich macht und wegen seiner konter-demokratischen Bestrebungen gerügt wird, betrauert der Co-Parteivorsitzende einer universalen Oppositionspartei, dass die Folgen dieser "politischen Abdrift" eines machtbesessenen Präsidenten von der Welt offensichtlich kaum bemerkt werden und versucht einige konkrete oder praktische Details aus der Sicht der Betroffenen anzudeuten.
Auf seiner kürzlichen Visite in Washington gab der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, den Amerikanern eine Kostprobe Höflichkeiten, wie er sie zu Hause gewohnt ist. Wie berichtet, mischten seine Leibwächter, außerhalb eines Think-Tanks, Reporter auf, während ein Van mit der LEDs Leuchtschrift "Wahrheit + Frieden = Erdogan" in der US-Hauptstadt herumfuhr.
Manche amerikanischen Politiker waren von Herrn Erdogans Anstrengungen, den Rest der freien Meinungsäußerung in der Türkei auch noch auszurottten, von Entsetzen gepackt worden. Selbst Präsident Obama gestand ein, dass er "erschüttert" war über die Richtung, die das Land, als NATO-Alliierter, eingeschlagen hatte.
Während die amerikanische Öffentlichkeit sich zu Recht betroffen fühlt über Herrn Erdogans Anstrengungen die freie Rede zu erwürgen und Journalisten einzukerkern, so bin ich als Kurde betrübt, dass die Kritik hier bereits endet. So kam es kaum zu irgendeiner wirklichen Kenntnisnahme der Regierungs-Übergriffe im Kampf gegen die Kurdische Arbeiterpartei oder PKK, die Deportationen von Zivilisten, die Zerstörung kurdischer Städte und die Einkerkerung kurdischer Politiker in der Türkei.
Beide, Europa und die USA, haben den Menschenrechtsverletzungen in kurdischen Städten des vergangenen Jahres ein blindes Auge zu gewandt. Die Europäer handelten so, weil sie daran verzweifelten, mit Herrn Erdogan eine Regelung herauszuschlagen, dass die Türkei die Syrischen Flüchtlinge aufnimmt. Washington für seinen Teil, fühlt, dass die Türkei unabdingbar ist für den Kampf gegen den islamischen Staat. [1]
Doch lassen Sie mich erzählen, was diese pragmatische Vorgehensweise verdeckt: Jedes mal stand, wenn seit dem letzten Sommer, die Friedensverhandlungen zwischen der türkischen Regierung und der PKK zusammenbrachen, das Land im Chaos.
Letzten August starteten kurdische Jugendgruppen, die der PKK nahe standen, in manchen kurdischen Städten einen Aufstand. Die Regierung antwortete erst mit Tränengas und Plastikgeschossen, später mit 24-stündigen Ausgangssperren, die für Wochen anhielten und schließlich mit Panzern und Artillerie. Fotos von manchen der besetzten Städte sehen aus wie frühe Bilder aus dem syrischen Bürgerkrieg. Mehr als 300.000 Menschen hatten ihre Wohnungen zu räumen. Der Blutzoll liegt bei über 1000, hunderte davon sind, nach den Kriterien der türkischen Menschenrechts-Stiftung, Zivilisten. Große Teile kurdischer Städte wie Cizre, Silopi und das historische Sur sind jetzt nur noch Geröllhalden.
Während die Regierung und die PKK unterschiedliche Ansichten haben darüber, warum die Friedensgespräche zusammenbrachen, besteht kein Zweifel daran, was Herrn Erdogan dazu motiviert, seinen militärischen Feldzug weiterzuführen. Er bläst nationalistische Gefühle auf mit dem Blick auf ein mögliches Referendum in diesem Sommer, welches seine verfassungsmäßige Macht weiter ausdehnen würde.
Hierzu ist vielleicht etwas Hintergrundwissen nötig: Die in der Türkei lebende kurdische Bevölkerung kämpft seit Jahrzehnten einen Existenzkampf für mehr Freiheiten. Generationen sind in Gefängnissen und Folterkammern umgekommen, als die Türkei durch sukkzessive Militärputsche hindurchgegangen ist. Als ich in den 1970ern und 1980ern aufwuchs, durften wir nicht kurdisch sprechen, über kurdisch sprechen oder etwa auch kurdisch singen. Ich bekam teilweise einen Anwalt für Menschenrechte, weil mein älterer Bruder ins Gefängnis kam, weil er Graswurzel Aktivismus versucht hatte - nur um mit einer politischen Partei friedliche Demonstrationen zu organisieren, reichte aus, um ihn als Terrorist zu brandmarken.
Wir sind, was die Rechte kurdischer Kultur betrifft, einen weiten Weg gegangen, aber die Türkei liegt noch weit hinter dem Rest der Welt, wenn es um basisdemokratische Freiheiten geht. Es ist wahr, die Friedensgespräche mit dem eingekerkerten kurdischen Führer Abdullah Öcalan über die letzten paar Jahre, brachte uns einen sehr nötigen Waffenstillstand und einen Raum zum Atmen und um unsere politischen Ansichten auszuleben. Aber seit die Verhandlungen in die Binsen gegangen sind, hat die türkische Regierung es gewusst deren Ergebnisse wieder rückgängig zu machen. Die türkische Regierung versucht unterdessen ihre drakonischen Anti-Terror-Gesetze auszudehnen, zu einer Zensur von Meinungsäußerung und anderen politischen Aktivitäten.
Herr Erdogan wurde sogar noch unversöhnlicher für den Friedensprozess, nachdem meine Partei, die Demokratische Volks Partei oder HDP, welche für die Kurdischen Rechte eintritt, das erste Mal bei den Wahlen im Juni 2015 einen Anteil von 10 Prozent erhielt und den Einzug ins Parlament gewann. Dies hat die Möglichkeit des Präsidenten, die Verfassung zu ändern, um seine Macht auszuweiten, eingeschränkt.
Seit letzten Sommer sind hunderte unserer Parteimitglieder festgenommen worden und dutzende unserer gewählten Abgeordneten wurden weggeschickt oder inhaftiert. Inzwischen hat die Türkei syrische Kurden, die den Islamischen Staat bekämpfen, über die syrische Grenze hinweg, bombardiert.
Herr Erdogan hat unsere Partei sehr genau im Visier, weil wir bei der Einrichtung einer totalitären Ordnung, die er versucht einzurichten, im Wege stehen. Die HDP ist eine fortschrittliche Koalition von Türken, Kurden, Sozialisten, demokratischen Muslims, Liberalen und Minderheiten, die sich einsetzen für demokratische Reformen, Gleichheit der Geschlechter, Vielfalt und kurdische Rechte. Unsere Partei versammelt Menschen von vielen ethnischen Gruppen in der Türkei, inklusive Kurden, Türken, Armenier, Assyrer und Yazidis aus allen sozialen Schichten. Ich bin ein Co-Vorsitzender der Partei, weil jede politische Einheit, von der Gemeindeverwaltung bis zur Ortsgruppe von einer ein-Mann eine-Frau Partnerschaft geführt wird. Unsere Partei wurde gegründet eine gemeinsame Grundlage zu bieten für alle Menschen in der Türkei, die mehr Demokratie verwirklichen wollen.
Dies alles ist ein Dorn im Auge eines despotischen, männlich-dominierten Nationalismus, wie er von Herrn Erdogan befeuert wird.
In Washington stellte sich Herr Erdogan als "Terroismusbekämpfer" dar und beklagte, dass die USA seine Kampagne gegen die Kurden in Syrien und der Türkei nicht unterstützt hat. Irgendjemand sollte ihm erzählen, dass er sich aktuell zu einer Quelle der Instabilität für den Mittleren-Osten entwickelt. Durch die Beendigung des Friedensprozesses mit der PKK, durch die Schaffung eines repressiven Polizeistaates, durch das Verdrehen der Rechtsordnung und hartes Vorgehen gegen freie Meinungsäußerung, ertränkt er den Rest dessen, was an Demokratie in der Türkei noch übrig geblieben ist - macht er dieses Land anfälliger für Radikalismus und interne Konflikte denn je.
[1] Es scheint eigenartig, daß dieser Politiker über die wahren Hintergründe noch nicht so richtig informiert zu sein scheint.
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