Außenminister John Kerry (hier bei seinem Zwischenstopp in Rom) hat keine definierte Politik. Er ergreift in allen Themen die Initiative, nicht um ausschlaggebende Siege zu erringen, sondern um sich Möglichkeiten zu schaffen, seine Bauern vorzuschieben. So kümmert er sich heute, nachdem er den Staatsstreich der CIA in der Ukraine unterstützt hatte, nicht um die Zukunft von der Krim, sondern darum, wie er aus seiner lokalen politischen Niederlage auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene Profit machen könnte.

Drei Ereignisse haben die internationale Szene erschüttert: auf der einen Seite die Krise zwischen dem Westen und Russland anlässlich der Ukraine, auf der anderen Seite der geheime Krieg, den die Golf-Staaten sich einander erklärt haben, und schließlich die Annahme eines Wahlgesetzes durch den syrischen Volksrat (Parlament), das die Kandidatur von Bürgern, die das Land während des Krieges verlassen haben, de facto ausschließt.

Die Vereinigten Staaten hatten ein viertes Ereignis geplant, eine "farbige Revolution" in Venezuela, aber es gelang der Opposition nicht, die Massen auf ihrer Seite zu mobilisieren. Sie müssen diese Karte später spielen.

Washington will seine Niederlage in der Ukraine in einen Sieg für seine Wirtschaft verwandeln

Die ukrainische Krise wurde vom Westen ausgearbeitet und umgesetzt, und nahm die Form eines Staatsstreichs an, dessen Gewalt vom Fernsehen übertragen wurde. Russland reagierte mit Geschicklichkeit, gemäß der Strategie von Sun Tzu, indem es die Krim kampflos einnahm und die wirtschaftlichen und politischen Probleme des Landes seinen Gegnern überließ. Trotz der Prahlereien von Brüssel und Washington wird der Westen keinen zweiten Coup spielen und wird keine bedeutenden wirtschaftlichen Sanktionen gegen Moskau ergreifen: Die EU exportiert 7 % ihrer Produktion nach Russland (123 Milliarden Euro in Werkzeugmaschinen, Automobilen, Chemikalien...) und importiert 12 % seines Verbrauchs (215 Milliarden Euro vor allem Kohlenwasserstoffe). Das Vereinigte Königreich, Deutschland, Italien, die Niederlande, Polen und Frankreich wären besonders betroffen. Die City wird von russischen Vermögenswerten weitgehend finanziert, die sich jetzt auflösen, wie ein von der britischen Presse fotografiertes internes Memo der Downing Street zeigte. Firmen wie BP, Shell, Eni, Volkswagen, Continental, Siemens, Deutsche Telekom, Raiffeisen, Unicredit - und sicherlich andere mehr – würden absinken. In den Vereinigten Staaten ist die Situation besser, aber einige multinationale Unternehmen, wie Exxon, das zweite Unternehmen des Landes, haben erhebliche Vermögenswerte in Russland.

Wie auch immer, Washington schwingt eine sehr kraftvolle Rede, die es zwingen wird zu reagieren. Alles geschah, als ob der Putsch von den Radikalen des Regimes (Victoria Nuland, John McCain...) vorbereitet worden war und Präsident Obama zunächst peinlich traf, aber er bot ihm eine unerwartete Gelegenheit, die Wirtschaftskrise auf Kosten der Verbündeten zu lösen: wenn sich die Unruhen in der Ukraine auf wirtschaftlicher oder politischer Ebene in Europa weit verbreiten, werden sie das Kapital, das derzeit auf dem alten Kontinent angelegt ist zur Wall Street hin drängen. Dies wäre zugleich die Anwendung der Wolfowitz Doktrin von 1992 (zu verhindern, dass die Europäische Union ein möglicher Konkurrent der Vereinigten Staaten werde) und die der Theorie von Christina Romer von 2009 (die US-Wirtschaft durch Absorption des europäischen Kapitals retten, wie am Ende der großen Depression von 1929). Deshalb muss man mit einem Einfrieren der diplomatischen Beziehungen zwischen Washington und Moskau rechnen, zumindest scheinbar, und mit einer möglichen Rezession in Europa im Jahr 2014.

Unter diesen Umständen ist es unklar, wie der allgemeine Frieden im Nahen Osten umgesetzt werden könnte, während jede Schachfigur gerade dabei war, ihren Platz zu finden. Das Genf 3-Projekt für Syrien wurde bereits auf unbestimmte Zeit abgesagt. Währenddessen wurde das israelisch-palästinensische "Friedensprojekt", das mit der Rückkehr von Mohamed Dahlan Schwung bekam, von der Arabischen Liga, die derzeit die Anerkennung Israels als "Jüdischen Staat " verweigert, torpediert.

Die Golfstaaten streiten sich über die Muslimbruderschaft

Ein weiteres neues Element: der geheime Krieg, den die Golfstaaten sich jetzt liefern. Das Katar hat einen Versuch eines Staatsstreichs der Muslimbruderschaft in den Emiraten im November unterstützt. Die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi Arabien und Bahrain haben ihre diplomatischen Beziehungen mit Katar aufgegeben und die Saudis einen Bombenanschlag in Doha gesponsert. Katar scheint nicht bereit zu sein, die Muslimbruderschaft im Stich zu lassen, für deren Triumpf Washington den "arabischen Frühling" organisiert hatte, bevor es sie fallen ließ.

Die Golfstaaten-Politik wurde ein unwahrscheinlicher Wirrwarr, da die Operetten- Monarchen ihre Staatsinteressen mit ihren persönlichen Ambitionen und ihren mondänen Affinitäten verwechseln. Die Bannflüche zwischen dem Diener-der-zwei-heiligen-Moscheen und dem Führer der islamischen Revolution, die ihre Versöhnung aushandelten, sind vergessen. Der Streit des Tages dreht sich um die Muslimbruderschaft, die nicht als eine ideologische Strömung betrachtet wird, sondern als eine Spielkarte.

Syrien will nicht mehr Frieden mit den Saudis aushandeln

Das dritte neue Element ist die vom Fernsehen übertragene Beratung des Volksrates über das nächste syrische Wahlgesetz. Die Abgeordneten adoptieren schließlich eine Klausel, die verlangt, dass Präsidentschaftskandidaten die letzten zehn Jahre im Land gelebt haben müssen. Diese Bestimmung schließt de facto Bürger aus, die während des Krieges von Syrien geflohen sind.

Der Sondergesandte der Generalsekretäre der Arabischen Liga und der UNO, Lakhdar Brahimi erklärte sofort, dass diese Wahl dem Prozess der ausgehandelten Lösung des Konflikts ein Ende setzen könnte. Frankreich hat einen Entwurf einer Erklärung des Sicherheitsrats vorgelegt, um die Genfer Verhandlungen wieder zu beleben. Obwohl das neue Wahlgesetz nicht erwähnt wurde, ist es der letzte westliche Versuch, den Krieg in Syrien als eine "Revolution" darzustellen und den Frieden als eine Vereinbarung zwischen Damaskus und einer künstlichen, vollständig in den Händen von Saudi Arabien befindlichen Opposition zu betrachten. Die ehemalige Sprecherin des syrischen Nationalrats, Basma Kodmani, die in einer saudischen Botschaft aufgewachsen ist, versicherte, dass das Regime von Damaskus nicht in der Lage wäre, Präsidentschaftswahlen zu organisieren und schlug vor, dieses Misslingen während des Krieges als Beweis dafür zu betrachten, dass es eine Diktatur sei. Die NATO könnte somit wieder in den Vordergrund rücken und Baschar Al-Assad ein Ende machen, wie es seit 2003 geplant war und trotz der verpassten Chancen der "Massaker" von 2011 und der "chemischen Bombardierung" von 2013. Jedoch ignoriert Washington wieder die syrischen Mitarbeiter der Saudis, nachdem es sich mit Riyad versöhnt und Genf 2 auf dessen Weise organisiert hatte.

Wenn es kein Genf 3 gibt, wird der Westen entweder Syrien angreifen müssen, (was nicht mehr möglich ist als die Krim einzunehmen, wie man es bereits in diesem Sommer erlebt hatte), oder die Situation während eines Jahrzehnts verrotten lassen oder noch behaupten, dass die Revolution durch die Dschihadisten konfisziert wurde und zugeben, dass der Krieg nun eine Anti-Terror-Frage von globalem Interesse ist.

Der Milliardär John Kerry, der eher Geschäftsmann ist als Diplomat, hat keine vorher festgelegte Politik, sondern eine Taktik. Wie üblich wählt Washington nicht eine Lösung anstelle einer anderen, sondern wird alles daran legen, um ein ihm günstiges Ergebnis zu erreichen, und gleichzeitig alle anderen Optionen zu verfolgen, man weiß ja nie! Da es nicht mehr mit Russland verhandeln kann, wird es dies mit dem anderen militärischen Verbündeten von Syrien, dem Iran, tun. Seit einem Jahr diskutiert das US-Außenministerium mit der islamischen Republik, zunächst heimlich in Oman, dann offiziell mit dem neuen Präsidenten Rohani. Aber die Dinge kollidieren mit den Khomeini-Anhängern, die nicht mit Imperialisten verhandeln, sie aber bis zum Tode bekämpfen. Washington multiplizierte unter den iranischen inneren Widersprüchen Fortschritte und Rückschläge, um weniger schnell als erwartet fortzuschreiten.

Wenn auch keine Dringlichkeit für die Vereinigten Staaten besteht, die syrische Frage zu lösen, ist es stattdessen wichtig, das Fortbestehen der jüdischen Besiedlung Palästinas zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang hat sich der Iran beim US-Außenministerium in Erinnerung gebracht: auf seinen Befehl hat der islamische Dschihad plötzlich die israelische Grenze bombardiert. Teheran, das von Genf 2 ausgeschlossen war, hat sich also auf viel Wichtigeres eingeladen: die regionale Verhandlung. In diesem Sinn wird der US-Senat eine Anhörung in 10 Tagen über « Syrien nach Genf» organisieren. Die Formulierung deutet darauf hin, dass er schon ein Kreuz auf die Erweiterung dieser "Friedenskonferenz“ gemacht habe. Die Senatoren werden nicht Experten der israelischen Think-Tanks von Washington anhören, wie sie es in der Regel tun, wenn es um den Nahen Osten geht, sondern die Verantwortliche dieses Themas im Außenministerium, ihre beste Guerilla-Strategin und einen ihrer zwei führenden Iran-Experten.

Letztlich kann der regionale "Frieden", wenn er eintreten sollte, nur auf der von John Kerry interpretierten Art und Weise eintreten: auf Kosten des palästinensischen Volkes, statt der jüdischen Siedlung. Hassan Nasrallah hat vor dieser Ungerechtigkeit gewarnt, aber wer wird sich widersetzen können, wo doch die wichtigsten palästinensischen Führer schon ihre Wähler verraten haben?

Übersetzung
Horst Frohlich
Quelle
Al-Watan (Syrien)