Ehemalige Minister von Jean-Marc Ayrault bilden die neue Regierung von Manuel Valls. Nur zwei wurden ersetzt.

Die neue Regierung von Manuel Valls, die als Reaktion auf die sozialistische Niederlage bei den Kommunalwahlen vom 23. und 30. März 2014 interpretiert wurde, bedeutet jedoch in Wirklichkeit die in der Pressekonferenz vom 14. Januar unternommene Wende von François Hollande. Der als ehemaliger Generalsekretär der Sozialistischen Partei gewählte Präsident verleugnet nicht das Modell des Kolonisatoren Jules Ferry, das ihn bis jetzt inspiriert hatte, aber er möchte dem Modell die Beziehungen zu großen Unternehmen des Bundeskanzlers Gerhard Schröder hinzufügen.

Bei seiner Amtseinführung stellte Präsident Hollande seine fünfjährige Amtszeit unter die Schirmherrschaft von Jules Ferry (1832 – 1893), der die Interessen des französischen Groß- Kapitals durch die Entwicklung des Kolonialismus verteidigte [1]. Der erhabene Sozialist schuf auch eine säkulare, gebührenfreie und obligatorische Schule, damit die "schwarzen Husaren " (d.h. die Lehrer) die französische Jugend ausbilden, damit sie Soldaten für die koloniale Expansion und den Ersten Weltkrieg werden. Zur gleichen Zeit führte Jules Ferry einen Kampf gegen die katholische Kirche, womit der Zorn der unterdrückten Klassen von der hohen Bourgeoisie auf den Klerus abgelenkt wurde.

Der erste Teil des Mandats von François Hollande war also durch die Wiederbelebung des Krieges in Syrien — von dem sich Nicolas Sarkozy nach dem Fall des islamischen Emirats von Baba Amr [2] zurückgezogen hatte - , durch die Intervention in Mali auf Antrag des Präsidenten, der von Frankreich ans Ruder gebracht wurde [3], und dann durch die Intervention in der Zentralafrikanischen Republik [4] geprägt. Alle diese Abenteuer wurden vom Elysee-Palast aus, oft gegen den Rat des Generalstabes und des Verteidigung Ministers, durch den militärischen Kabinetts Chef, den traditionalistischen General Benoît Puga [5] koordiniert.

Darüber hinaus erzielte Präsident Hollande eine Reform der Gesetzgebung über die Ehe, um sie auf Menschen gleichen Geschlechts zu erweitern, nicht weil dieses Gesetz eine Forderung der Homosexuellen war, sondern weil es seine politische Opposition spaltete und die Rechte zu Obskurantisten machte. Er war auch bereit, die gender-theory von Judith Butler zu verhängen, aber scheint einen Rückzieher gemacht zu haben, indem er selbst die Existenz der Arbeit der Feministin leugnete.

Der zweite Teil des fünfjährigen Amtes, am 14. Januar angekündigt, d.h. zweieinhalb Monate vor den Kommunalwahlen will "sozial-demokratisch" sein, im Sinne der Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder: Es handelt sich darum, die Produktion anzukurbeln durch die Erleichterung der Arbeit von Großunternehmen. Diese vor einem Jahrzehnt durchgeführte Richtlinie erleichterte den Bundesstaat, machte Exporteure wettbewerbsfähiger, aber erhöhte deutlich soziale Ungleichheit und Armut. François Hollande empfing auch im Elysee Peter Hartz, den ehemaligen Berater des Kanzlers Schröder, leugnete aber ihn zu seinem eigenen Mitarbeiter machen zu wollen: der ehemalige Direktor von Volkswagen wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er Gewerkschafter seiner Firma korrumpiert hatte und ihnen für 2,6 Millionen Euro Prostituierte und exotische Reisen bezahlt hatte. Es wurde nicht bekannt, ob Präsident Hollande dem Beispiel von Peter Hartz bis zu seiner vierten Reform folgen will, die die Dauer der Arbeitslosenversicherung auf drei Monate begrenzte.

Der Präsident kündigte auch seine Absicht an, die Episode der « mariage pour tous » [Ehe für alle = Homoehen] schließen zu wollen, die schon die Einheit der eigenen parlamentarischen Mehrheit zu bedrohen begann.

Die Kommunalwahlen

Nie in der Geschichte Frankreichs führten Kommunalwahlen zu einem Regierungswechsel. In der Tat schien es unmöglich, nationale Schlussfolgerungen aus ausschließlich lokalen Wahlen ziehen zu können. Wenn man allerdings die 788 Gemeinden mit mehr als 50 000 Einwohnern (entsprechend 23 % der Bevölkerung) betrachtet, bemerkt man eine Rekord-Enthaltung, vor allem unter den Wählern, die zwei Jahre zuvor für François Hollande gestimmt haben. Das Ausmaß der Missbilligung war derart, dass viele traditionell links verankerte Bürgermeistereien nach rechts pendelten, zum Profit der UMP.

Indem er diese Niederlage in eine Gelegenheit für seine Wende umwandelte, verkündete Präsident Hollande die Ernennung von einem neuen Premierminister, Manuel Valls, und wies ihn an, eine neue "verschärfte, kohärente und geschweißte" Regierung zu bilden, um seine am 14. Januar angekündigten Projekte durchzuführen. Der Präsident denkt so, den Spuren von François Mitterrand zu folgen, der im Juli 1984 seinen „Arbeiter“-Premier-Minister Pierre Mauroy enthoben hatte, seine 101 propositions [Vorschläge] fallen lies und einen Grand- Bourgeois, Laurent Fabius, ernannte, um eine "realistischere" Politik zu führen.

So wie die Kommunisten sich weigerten an der Fabius Regierung teilzunehmen, die die sozialen Versprechen der Präsidentschaftswahlen unter den Teppich kehren sollte, zogen sich ebenso die Grünen jetzt von der Valls Regierung zurück, weil sie sich weigerten, ihren vorhersehbaren Absturz zu teilen. Und so wie François Mitterrand einen jüdischen und zionistischen Premier Minister gewählt hatte, um die Feindseligkeit von Israel zu beschwichtigen, so hat François Hollande sich für eine der engagiertesten Persönlichkeiten für die Besiedlung von Palästina entschieden. So wie Laurent Fabius ein zu junger und unerfahrener Premierminister war, um sich bei dem „Florentiner“ François Mitterrand durchsetzen zu können, so hatte auch Manuel nicht die Fähigkeit, selbst seine Regierung zusammenzustellen und musste sich den Vorschlägen des Präsidenten fügen.

François Mitterrand hatte aber 1984 eine wirkliche Wende der Politik und der Minister unternommen, während François Hollande beabsichtigt, weiterhin die gleiche Politik zu betreiben, die er während der ersten anderthalb Jahre des Mandats allmählich ausgearbeitet hat. In der neuen Regierung befinden sich dieselben Leute wie in der vorherigen, mit zwei Ausnahmen, der Mutter seiner Kinder, Ségolène Royal, und seinem alten Freund, François Rebsamen. Wir können daraus schließen, dass das Ziel nicht ist, die Spuren des Jules Ferry zu verlassen, sondern noch dazu dem Beispiel von Gerhard Schröder, mit seinen Beziehungen zum großen Kapital zu folgen.

Die Regierung von Manuel Valls

In seiner Rede vor der Nationalversammlung am 8. April hat Manuel Valls gewissenhaft die Direktiven des Präsidenten Hollande wieder zitiert: « pacte de responsabilité » [Verantwortung–Pakt] mit dem Medef (Unternehmer-Gewerkschaft), die « transition énergétique » [Energiewandel] für die Grünen und den « pacte social » [Sozialpakt] für die Arbeiterklasse [6]. Das heißt, auf verschiedene Wähler-Kategorien ausgerichtete Entscheidungen, aber keine kohärente Staatspolitik.

Die Bedürfnisse Frankreichs sind aber einfach: seit vielen Jahren verzichtet der Staat auf seine Interventionsmittel, z. B. mit dem Verzicht auf seine Währung, vervielfacht seine administrativen Schichten, seine Gesetze und Verordnungen. Am Ende ist die Macht in ihrer Bürokratie verstrickt und hat ihre Wirksamkeit verloren.

Wenn auch einige Politiker diesen Vorgang hinterfragen, sind es sehr wenige, die vorschlagen, ihn zu ändern. In der Tat wurde diese Richtung unter der Führung des amerikanischen Lehnsherrn eingeschlagen und eine Änderung würde natürlich eine große internationale politische Krise bedeuten, wie die von Charles De Gaulle in 1966, als er plötzlich die NATO aus Frankreich auswies.

Daher ist es nicht unnötig, die Ankündigung von Manuel Valls über eine umfassende Reform hervorzuheben, die vorher noch nicht erwähnt wurde. Nachdem er sein Engagement für den Aufbau Europas und das deutsch-französische Paar unterstrichen hatte, aber die Optionen der Europäischen Zentralbank kritisierte, erklärte der Ministerpräsident seine Absicht, den "territorialen Blätterteig“ reformieren zu wollen. Im Laufe der Jahre kamen zu den existierenden municipalités [Gemeinden] und départements, Gemeindegemeinden, Länder und Regionen. Er hat vorgeschlagen, die Zahl der Regionen zu halbieren, die départements mit ihren Räten [Conseils généraux] abzuschaffen und Gemeinde-Gruppierungen zu fördern, wahrscheinlich um die kleinsten zu beseitigen. Wenn auch alle damit einverstanden sind, dass diese "Blätterteig-Cremeschnitte" unverdaulich und teuer sei, entspricht die Wahl der unterdrückten Verwaltungs-Schichten nicht der politischen Geschichte Frankreichs, sondern dem Übergang vom Nationalstaat zum Projekt der Europäischen Union. Dieses Projekt, das durch die Vereinigten Staaten während des Marshall-Plans eingehaucht wurde, würde die Nationalstaaten durch große Bereiche ersetzen und würde die souveränen Befugnisse auf eine bürokratische Einheit, die Europäische Kommission, übertragen. Es wendet sich eindeutig gegen den gaullistischen Regionalisierungsplan von 1969.

Es ist zumindest überraschend zu konstatieren, dass diese Reform vom Premierminister wie eine einfache Variable der wirtschaftlichen Anpassung behandelt wird, während die Finalität das Verschwinden des französischen Staates bedeutet und damit das der französischen Republik, zum Wohle der Brüsseler Bürokratie (Europäische Union und NATO).

Manuel Valls beendete seine Rede mit einer Ode an die Republik. Seltsamerweise erklärte er, dass " Frankreich, ja es ist arrogant zu glauben, dass, was man hier macht, für den Rest der Welt gelten sollte. Dieses berühmte "arrogante Frankreich", das uns unsere Nachbarn oft zusprechen, ist tatsächlich die enorme Großzügigkeit eines Landes, das sich selbst übertreffen will." Zwei mehrdeutige Sätze, die eine Verpflichtung zur Beispielhaftigkeit, aber auch eher im Gegenteil die "Pflicht zur Zivilisation" bedeuten können, auf die sich Jules Ferry berief, um Tunesien und China anzugreifen.

Wohin geht Frankreich?

Der Regierungswechsel ist keine Antwort auf die Wahl der Franzosen bei den Kommunalwahlen, sondern entspricht der persönlichen Politik von François Hollande, welcher allmählich seine wahren politischen Ziele aufdeckt: Wiederaufnahme der Kolonisation und Verteidigung der Unternehmer-Interessen des Medef. Letzterer vertritt nur das Großkapital (nur das reichste Fünftel der Unternehmen sind dieser Gewerkschaft angeschlossen). Wir sind weit von der Republik entfernt, d.h. auf der Suche nach dem allgemeinen Interesse.

Diese Richtlinie hat ihre Logik: in Krisenzeiten ist es unmöglich, die Ausbeutung der Arbeiterklasse zu verschärfen, man muss also die Super-Renditen im Ausland suchen, bei den Völkern, die sich nicht verteidigen können. Blut wird noch in Syrien und Afrika fließen, während die Armut in Frankreich weiter fortschreitet.

Übersetzung
Horst Frohlich
Quelle
Al-Watan (Syrien)

[1Das Frankreich von François Hollande“, von Thierry Meyssan, Voltaire Netzwerk, 30. Juli 2012.

[2« Discours de François Hollande à la 3ème réunion du Groupe des amis du peuple syrien », par François Hollande, Réseau Voltaire, 6 juillet 2012.

[3Mali: Ein Krieg kann einen anderen verschweigen“, von Thierry Meyssan, Al-Watan (Syrien), Voltaire Netzwerk, 21. Januar 2013.

[4Französische Widersprüche in Zentralafrika“, Voltaire Netzwerk, 14. Dezember 2013.

[5« Gaza : la France supervise le prolongement du Mur de séparation » [Frankreich leitet die Verlängerung der Trennungsmauer in Gaza] auch auf Englisch, Réseau Voltaire, 26 décembre 2009.

[6« Déclaration de politique générale du Gouvernement Valls », Réseau Voltaire, 8 avril 2014.