Angesichts der Flut von Regimewechsel im französischsprachigen Afrika sind die französischen Medien fassungslos. Sie können die Ablehnung Frankreichs nicht erklären.

Die alten Geschichten über koloniale Ausbeutung sind nicht überzeugend. Man bemerkt zum Beispiel, dass Paris in Niger Uran abbaut, aber nicht zum Marktpreis, sondern zu einem anderen, lächerlich niedrigen Preis. Die Putschisten haben dieses Argument jedoch nie vorgebracht. Sie reden über etwas ganz anderes. Die Vorwürfe über russische Manipulation sind auch nicht glaubwürdig. Erstens, weil Russland nicht hinter den Putschisten von Mali, Guinea, Burkina Faso, Niger oder Gabun zu stehen scheint, vor allem, weil es das Übel dort schon vor dessen Ankunft gab. Russland kam erst nach seinem Sieg in Syrien im Jahr 2016 nach Afrika, während das Problem mindestens auf das Jahr 2010, wenn nicht sogar auf das Jahr 2001 zurückgeht.

Was die Situation unverständlich macht, kommt wie immer vom Vergessen ihres Ursprungs.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wiesen die Vereinigten Staaten ihrem Vasallen Frankreich eine Rolle in Afrika zu. Es ging darum, die alte Ordnung dort aufrechtzuerhalten, bis das US-AfriCom dort einzieht und das Pentagon die Zerstörung der politischen Institutionen, die es bereits im "Großen Nahen Osten" durchführte, auf den schwarzen Kontinent ausdehnen kann. [1] Allmählich wich dort die republikanische Politik der Stammespolitik. Von einem gewissen Standpunkt aus war es eine Emanzipation von der schwerwiegenden französischen Hilfe, von einem anderen aber, war es für Afrika ein gewaltiger Rückschritt.

Im Jahr 2010 ergriff der französische Präsident Nicolas Sarkozy, wahrscheinlich auf Anraten Washingtons, die Initiative zur Beilegung des ivorischen [Elfenbeinküste] Konflikts. Während sich das Land in einem Stammeskonflikt befand, versuchte eine Operation, die zuerst von der CEDEAO/ECOWAS und dann vom kenianischen Premierminister Raila Odinga, dem Cousin von Barack Obama [2], geleitet wurde, den Rücktritt des ivorischen Präsidenten Laurent Gbagbo zu erreichen. Ihr Problem war nicht Gbagbos autoritäres Regime, sondern die Tatsache, dass er sich von einem unterwürfigen CIA-Agenten in einen Verteidiger seiner Nation verwandelt hatte. Paris intervenierte nach den Präsidentschaftswahlen militärisch, um Gbagbo zu verhaften – angeblich, um einen Völkermord zu verhindern – und ihn durch Alassane Ouattara, einen langjährigen Freund der französischen herrschenden Klasse zu ersetzen. Anschließend wird Laurent Gbagbo vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt, der nach einem endlosen Prozess anerkennen wird, dass er nie Völkermord begangen hat und dass Frankreich daher nicht berechtigt war, militärisch zu intervenieren.

Im Jahr 2011 engagierte Präsident Nicolas Sarkozy auf Anraten Washingtons Frankreich in Libyen. Wieder einmal geht es offiziell darum, einen Völkermord zu stoppen, den ein Diktator an seinem eigenen Volk begangen hätte. Um diese Anschuldigung glaubhaft zu machen, organisiert die CIA, die hinter Frankreich steht, falsche Zeugenaussagen vor dem Menschenrechtsrat in Genf. In New York ermächtigt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Großmächte zu intervenieren, um das Massaker zu stoppen, das es nicht gibt. Der russische Präsident Dmitri Medwedew schließt seine Augen. US-Präsident Barack Obama wollte, dass das AfriCom endlich seinen Einsatz in Afrika aufnimmt, wo es noch nicht ansässig ist, weil seine Soldaten noch immer in Deutschland stationiert sind.

Aber im letzten Moment weigerte sich der Kommandeur des AfriCom, an der Seite der Dschihadisten gegen Muammar al-Gaddafi zu kämpfen, die doch im Irak gegen seine Kameraden gekämpft hatten (das US-Militär hatte noch immer nicht das Doppelspiel der CIA verstanden, das die Dschihadisten gegen Russland unterstützt, oft zum Nachteil des Westens). Barack Obama appellierte daher an die NATO und vergaß, dass er zuvor versprochen hatte, sie nicht gegen ein Land des Südens zu mobilisieren. Dennoch wurde Muammar al-Gaddafi gefoltert und gelyncht, und Libyen zerstückelt. Die libysch-arabische Dschamahirija, die keineswegs eine Diktatur war, sondern ein Regime, das von den französischen Sozialisten des neunzehnten Jahrhunderts und der Pariser Kommune inspiriert war, war die einzige afrikanische Kraft, die darauf abzielte, Araber und Schwarze zu vereinen.

Gaddafi wollte den Kontinent befreien, so wie er seine Landsleute vom westlichen Kolonialismus befreit hatte. Er bereitete sich sogar darauf vor, mit dem Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, eine mehreren afrikanischen Staaten gemeinsame Währung zu testen. Gaddafis Sturz hat seine Feinde aufgeweckt. Wieder wurden Schwarze von Arabern massakriert und versklavt, selbst wenn sie libysche Staatsbürger waren, und zwar vor den unbarmherzigen Augen der westlichen Sieger. Die armen afrikanischen Staaten, die von Libyen wirtschaftlich unterstützt wurden, brachen zusammen, allen voran Mali [3]. Die arabischen Dschihadisten, die die NATO in Tripolis an die Macht gebracht hatte, unterstützten manche Tuaregvölker gegen die Schwarzen. Das Problem hat sich allmählich auf das gesamte Sahel-Afrika ausgeweitet.

Trotz allem, unfähig aus diesen Verbrechen zu lernen, inszenierte der französische Präsident François Hollande einen neuen Regimewechsel in Mali. Im März 2012, als die Amtszeit von Präsident Amadou Toumani Touré zu Ende ging und er nicht mehr zur Wiederwahl antrat, stürzte ihn eine Gruppe von in den Vereinigten Staaten ausgebildeten Offizieren, ohne ihre Tat erklären zu können. Sie unterbrach den laufenden Präsidentschaftswahlkampf und ernannte Dioncunda Traore zum "Übergangspräsidenten". Dieser Taschenspielertrick wurde von der ECOWAS gebilligt... die jetzt unter dem Vorsitz von Alassane Ouattara stand. Es überrascht nicht, dass Übergangspräsident Dioncunda Traore, im Kampf gegen die ihn angreifenden Dschihadisten, Frankreich um Hilfe bat. Die Idee von Paris war, Truppen in Mali zu stationieren, um Algerien, sein eigentliches Ziel, vom Süden her [„von hinten“] angreifen zu können. Das ist die "Operation Serval". Die algerischen Generäle waren sich jedoch wohl bewusst, dass sie die nächsten auf der Liste waren, und unterdrückten daher am 16. Januar 2013 eine Geiselnahme durch Dschihadisten im algerischen Gaskomplex nahe von In Amenas mit aller Härte. Auf diese Weise hielten sie die Franzosen davon ab, gegen ihr Volk zu intervenieren.

Also Frankreich reorganisiert dann sein System, es ist die "Operation Barkhane". Die französische Armee wird ihrem amerikanischen Oberherrn zur Verfügung gestellt. Organisiert wird nun alles durch AfriCom, das immer noch in Deutschland stationiert ist. Die französischen Truppen, die jetzt von Mitgliedern der Europäischen Union (Dänemark, Spanien, Estland, Großbritannien, Schweden und Tschechien) unterstützt werden, zerstören die Ziele, die ihnen von AfriCom angezeigt werden. In dieser ehemals französischen Region hat das französische Militär gute Kontakte zur Bevölkerung, während die Amerikaner mit der Sprachbarriere konfrontiert sind.

An dieser Stelle ist zu bemerken, dass die Operation Barkhane, unabhängig von ihren Ergebnissen, nicht legitim war. Sicherlich, offiziell ist die Sache für den Westen, die Dschihadisten einzudämmen, aber jeder Sahel-Bewohner versteht, dass es dieselben Westmächte sind, die durch die Zerstörung Libyens die Dschihadisten der Region geschaffen haben. Und das ist noch nicht alles.

Die Planungen für den Sahel-Krieg in Marokko am 11. Mai 2022 haben die aktuelle Putschwelle im französischsprachigen Afrika ausgelöst. Nur Marokko ist nicht direkt gefährdet, da es US-Truppen beherbergen soll.

Gehen wir zurück. Erinnern wir uns daran, dass all dies mit dem Wunsch des Pentagons begann, die politischen Strukturen Afrikas mit AfriCom zu zerstören, so wie es begonnen hatte, die des "Erweiterten Nahen Ostens" mit dem CentCom zu zerstören. Am 11. Mai 2022 versammelte die US-Unterstaatssekretärin für politische Angelegenheiten, Victoria Nuland, in Marokko die 85 Teilnehmerstaaten der Koalition gegen Daesch. Sie kündigte ihnen den Rest des Programms an: Die Dschihadisten bauen Daesch in der Sahelzone neu auf. Sie haben Waffen, die offiziell für die Ukraine bestimmt sind. Bald wird die ganze Region nur noch ein riesiges Inferno sein [4]. Im November bestätigte der nigerianische Präsident Muhammadu Buhari den massiven Zustrom von US-Waffen, die ursprünglich für die Ukraine bestimmt waren, in den Händen von Dschihadisten in der Sahelzone und im Tschadseebecken.

Angesichts dieser existenziellen Gefahr haben Soldaten aus Mali, Burkina Faso und Niger die Macht übernommen, um ihre Völker zu verteidigen.

Man muss gut verstehen, dass afrikanische Führer sich seit Jahren über Frankreichs Unterstützung der Dschihadisten beschweren, die es ja bekämpfen sollte. Es geht nicht darum, das französische Militär anzuprangern, sondern die Rolle seiner Geheimdienste, die für die Vereinigten Staaten arbeiten.

Seit Beginn der Operation Serval hatten sich die syrischen Dschihadisten darüber beschwert, von Frankreich zugunsten ihrer Kollegen in der Sahelzone im Stich gelassen worden zu sein. Und Präsident François Hollande musste seine Truppen zurückhalten, während die katarischen Ausbilder der malischen Dschihadisten sich zurückzogen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte darüber mit seinem französischen Amtskollegen Laurent Fabius gesprochen, der lachend antwortete: "Das ist unsere Realpolitik!"

Zwischen den Städten Ghat (nahe der algerischen Grenze) und Sabbah (in der Nähe des Niger) in der Fezzan-Wüste, im Süden von Libyen, wurde ein Zufluchtsort von Al-Qaida-Militärlagern gebildet. Laut dem sehr seriösen französischen Canard enchaîné wurden diese Akademien des Dschihadismus von den britischen und französischen Geheimdiensten organisiert.

Interview von Choguel Kokalla Maïga mit RIA-Novosti

Vor drei Jahren, am 8. Oktober 2021, gab der malische Premierminister Choguel Kokalla Maïga RIA Novosti [5] ein Interview, das in der gesamten Region aufgegriffen und kommentiert wurde, aber nicht in Frankreich, wo es niemand außer unseren Lesern kennt.

Yaou Sangaré Bakar, nigrischer Minister für auswärtige Angelegenheiten, Zusammenarbeit und Nigerier im Ausland, schrieb im vergangenen Monat an den Sicherheitsrat (Ref. S/2023/636), dass französische Agenten Terroristen freiließen, die sich in Gefangenschaft befanden. Sie versammelten sich in einem Tal des Dorfes Fitili (28 km nordwestlich von Yatakala), wo eine Planungssitzung mit dem Ziel abgehalten wurde, militärische Stellungen im Dreiländereck anzugreifen. Sechzehn Terroristenführer wurden bei drei Operationen festgenommen, zwei auf nigrischem und einer auf malischem Territorium.

Der Brief von Yaou Sangaré Bakar wirft übrigens wichtige Fragen über die Rolle der ECOWAS auf [6]; Fragen, die nicht neu sind und sich seit dem ivorischen Regimewechsel gestellt haben. Diese internationale Institution hat gerade Sanktionen gegen Niger verhängt und Truppen mobilisiert, um die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen. Aber die Statuten der ECOWAS ermächtigen sie nicht, diese Sanktionen zu verhängen, genauso wenig wie die UN-Charta sie ermächtigt, militärisch gegen eines ihrer Mitglieder vorzugehen.

Die Fälle von Guinea und Gabun sind ein wenig anders. Sie sind nicht Tschadseestaaten oder der Sahelzone. Sie sind noch nicht bedroht. Ihre Soldaten rebellierten zunächst gegen autoritäre Regime, das von Alpha Condé in Guinea und Ali Bongo in Gabun. Beide weigerten sich gegen den Willen ihres Volkes, die Macht abzugeben. Doch die Putschisten beider Länder haben die französische Militärpräsenz schnell in Frage gestellt. Ganz einfach, weil sie voraussehen können, ohne Gefahr zu laufen, sich zu irren, dass die französische Armee weder die Interessen der Gabuner noch die der Franzosen, sondern nur die von Washington verteidigen wird.

Ein Krieg wird Jahre im Voraus vorbereitet. Heute liefern die Vereinigten Staaten Waffen, im Schatten des Ukraine Konflikts. Morgen wird es zu spät sein.

In diesem Zusammenhang ist es, gelinde gesagt, überraschend, dass der französische Präsident Emmanuel Macron die Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung predigt. Zum einen, weil alle diese Staaten in unmittelbarer Gefahr sind, und zum anderen, weil er, indem er die französische Armee in den Dienst der Ambitionen der US-Führung gestellt, selbst seine eigene Verfassung verraten hat.

Übersetzung
Horst Frohlich

[1Die Rumsfeld/Cebrowski Doktrin“, von Thierry Meyssan , Übersetzung Horst Frohlich , Korrekturlesen : Werner Leuthäusser, Voltaire Netzwerk, 25. Mai 2021.

[2Die afrikanische politische Erfahrung von Barack Obama“, von Thierry Meyssan , Übersetzung Horst Frohlich , Voltaire Netzwerk, 13. März 2013.

[3Der Krieg gegen Libyen ist eine wirtschaftliche Katastrophe für Afrika und Europa“, von Thierry Meyssan , Übersetzung Horst Frohlich , Voltaire Netzwerk, 6. Juli 2011.

[4Ein neuer Krieg bereitet sich für die kommende Niederlage gegen Russland vor“, von Thierry Meyssan , Übersetzung Horst Frohlich , Korrekturlesen : Werner Leuthäusser, Voltaire Netzwerk, 24. Mai 2022.

[6Voltaire, internationale Nachrichten - N°51